Belagerungstechnik 1.01

Am ersten Rückrundenspieltag traf der SC Paderborn auf den Halleschen SC. Während das Hinspiel bei einem Endstand von 4:4 ein wahres Spektakel war, blieb dieses Spiel mit einer passiven Haller und wenig druckvollen Paderborner Mannschaft ohne große Schauwerte. Das Ergebnis war damit folgerichtig ein 0:0 (Deswegen tippt man nicht). Paderborn verlor so die seit dem 4. Spieltag gehaltene Spitzenposition an den 1. FC Magdeburg.

Mannschaftsaufstellungen

SC Paderborn - Hallescher FC

Paderborn startete mit einem, im Vergleich zum Spiel gegen Fortuna Köln unter der Woche, unveränderten Kader im typischen 4-4-2/4-1-3-2 – System. Boeder war dabei höher als Herzenbruch, Wassey höher als Krauße, Michel höher als Srbeny – soweit, so bekannt.

Halle agierte das gesamte Spiel über in einem sehr defensiven 5-4-1, welches sich in den wenigen offensiven Momenten zu einem 3-4-3 umformte. Insbesondere die starke Doppelsechs aus Fennell und Zenga fiel mit einer dominanten Leistung auf.

„Offensive“ Halle

Da der Hallesche FC fast das gesamte Spiel über in der Defensive war, bringen wir das  Offensiv-Spiel an dieser Stelle hinter uns. Halle schob lediglich bei Abstößen und, wenn ich richtig gezählt habe, drei Spielzügen in der zweiten Hälfte in ein kompaktes 3-4-3. Damit sollten zweite Bälle behauptet werden… (Hier bitte Segment aus beliebiger Analyse einfügen).

Ansonsten bestanden Halles Angriffe ausschließlich in isolierten Kontern über die Flügelspieler Ludwig und El-Helwe. Diese waren trotz recht geringer Paderborner Absicherung wenig erfolgsversprechend. Zu tief konnte der Ball gewonnen werden, zu weit waren entsprechend die Wege im Dribbling, zumal keine kollektive Unterstützung, beispielsweise durch die Flügelverteidiger, erfolgte.

The Wall

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Paderborn traf zum mittlerweile wiederholten Male auf einen Gegner, welcher defensiv eine extrem flache und tiefe Formation nutzte, um die (immer noch) beste Offensive der Liga zu stoppen. In einer 5-4-1 Staffelung beteiligten sich mindestens neun Feldspieler an der Abwehrarbeit.

SC Paderborn - Hallescher FC OFF3
ungefähre Zonen, in denen die Haller Spieler eine Manndeckung ausübten

Diese agierten dabei in zonalen Manndeckungen. Das heißt, jeder Spieler hat eine fest zugewiesene Zone, sobald ein Gegenspieler diese betritt, steht man ihm auf den Füßen. Wenn der Gegenspieler die Zone verlässt, wird er an einen Mitspieler übergeben, während man selbst sich in die Ausgangsposition bewegt.

SC Paderborn - Hallescher FC OFF4
Fetsch’s Anlaufen in rot, Möglichkeiten nach Andribbeln

Fetsch war dafür verantwortlich, Verlagerungen zwischen Strohdiek und Schonlau zu verhindern. Wenn einer von ihnen den Ball hatte, lief der Mittelstürmer an und behielt dabei den anderen Innenverteidiger in seinem Rücken. Das Paderborner Duo war entsprechend dazu gezwungen, mit dem Ball anzudribbeln, eine Fähigkeit die insbesondere bei Strohdiek wenig ausgeprägt ist, deren taktischen Vorteile aber auch von Schonlau nicht genutzt wurden.

So sollte das Ziel des Andribbelns sein, einen Gegenspieler auf sich zu ziehen, um einen Mitspieler in einer besseren Position zu öffnen, oder die Überzahl auszuspielen, sollte sich der Gegenspieler nicht entscheiden. So hätte bei einem Andribbeln durch Schonlau beispielsweise Wasseys Gegner gelockt werden können. Durch Nutzung einer Ablage, wäre dieser vor der Abwehr anspielbar (vgl ABB).

Allerdings brachen die Paderborner Verteidiger das Dribbling ein ums andere Mal frühzeitig ab, und schufen so keine Optionen. Zudem war das Bewegungsspiel Wasseys meist ungünstig, da er sich vor dem Gegner und nicht in seinem Rücken anbot.

SC Paderborn - Hallescher FC Def 1
Links: Modellhafter Abwehrblock im 4-4-2; Rechts: Halles Abwehrriegel

Zudem zeigten sich bei Halle einige, für einen tiefen Block recht ungewöhnliche Charakteristika. Zum einen streckte sich die Fünferkette über fast die gesamte Breite des Platzes, während Abwehrblöcke normalerweise strafraumbreit verteidigen, um die Abstände zwischen den einzelnen Kettengliedern gering zu halten.

Darüber hinaus hatten sie beiden hinteren Reihen einen sehr geringen vertikalen Abstand voneinander. In einem tiefen 4-4-2 Block bewegen sich die Abstände zwischen den Reihen durchschnittlich im Bereich von 10 bis 15 Meter. So können die Mittelfeldspieler herausrücken, um Druck auf den Ballführenden zu machen, während die gefährlichen Zonen ausgewogen besetzt sind.

Diese Abweichungen von der (DFB-)Norm waren allerdings sehr passend auf die Stärken und Schwächen des Paderborner Angriffsspiels abgestimmt. Paderborn spielt Chancen im wesentlichen auf drei Arten und Weisen heraus:

SC Paderborn - Hallescher FC OFF1
Srbeny erhält einen Flugball zwischen mehreren kopfballstarken Gegenspielern – Erfolgschance gering

1.  Flugbälle auf Srbeny mit anschließender Verlängerung hinter die Abwehrkette, in den Lauf von Michel, Zolinski und Antwi-Adjei. Halle wirkte dieser Methode durch den Einsatz von drei kopfballstarken Innenverteidigern und zwei recht großen, nah postierten Sechsern entgegen.

SC Paderborn - Hallescher FC OFF2
In Rot: der sehr enge Zwischenlinienraum; Pässe müssen vor der Mittelfeldkette gespielt werden

2.  Schnittstellenpässe auf die durchstartenden Offensivspieler (s.o). Gerade gegen schlecht organisierte und/oder langsame Defensivreihen lässt sich der enorme dynamische Vorteil ausnutzen, den die Paderborner Stürmer haben, wenn sie bereits Tempo aufgenommen und die korrekte Richtung eingeschlagen haben, während die Verteidiger sich noch aus dem Stand drehen und beschleunigen müssen. Halle wirkte dem entgegen, indem sie beide Defensivreihen so eng aneinander postierten, dass Steilpässe von außerhalb des Blocks gespielt werden mussten. Zudem boten sich durch die tiefe Positionierung kaum Räume hinter der Abwehr. War ein Pass etwas zu scharf oder zu steil gespielt, landete er im Toraus.

3.  Dynamische Durchbrüche auf der Außenbahn. Paderborn nutzt oft Verlagerungen auf die ballferne Seite, um entweder Jimmy ein isoliertes Dribbling im 1vs1 zu ermöglichen, oder das Duo Boeder/Zolinski auf die Abwehr loszulassen . Der HSC begegnete diesem Schema durch die konstant breite Besetzung seiner Flügel. So konnte der SCP keine Dynamik in Vorbereitung des gegnerschlagenden Dribblings aufbauen.

Was lässt sich zu diesem Zeitpunkt feststellen? Halle passte sich gut auf die Paderborner Angriffsmuster an, der SCP fand keine erfolgsstabilen Mittel gegen diesen tiefen Block. Chancen entstanden meist recht zufällig, dies lässt sich an der Orientierung und Dynamik der Schützen erkennen (aus der Drehung, Lauf vom Tor weg).

Paderborn trifft im Saisonverlauf immer häufiger auf Mannschaften, die so tief stehen, wie Halle jetzt. Da dies erfolgsversprechend für die Außenseiter ist, werden es noch mehr Gegner werden, die diese Strategie nutzen. Man sollte sich also fragen, wie man solchen Gegnern begegnen kann.

(Nachfolgend einige taktiktheoretische Ausführungen über das Offensivspiel des Pep Guardiola. Wenn euch das nicht interessiert, könnt ihr direkt nach unten springen.)

Juego de Posicion

Wie man Abwehrmauern belagert und zerstört, zeigt Pep Guardiola seit mittlerweile 10 Trainerjahren in vier verschiedenen Ligen. Auch diese Saison befindet sich seine Mannschaft mit unglaublichen Statistiken an der Tabellenspitze (18 Spiele, 17 Siege, 56 Tore).

Wenn man Guardiola nach den Gründen für diesen Erfolg fragt, wird er demütig auf die individuelle Qualität seiner Spieler verweisen. Auch wenn diese enorm wichtig ist, handelt es sich dabei nur um einen Teil der Wahrheit. Vielmehr lassen sich die Prinzipien auf jedes Team anwenden (was in Ermangelung von Qualität nicht dazu führen wird, dass jede Mannschaft ähnlich erfolgreich spielt).

Guardiolas Fußballphilosophie beruht in der Ballbesitzphase darauf, vier verschiedene Überlegenheiten zu schaffen derer drei ich im Bezug auf das Spiel gegen Halle erläutern werde.

Numerische Überlegenheit

Das wahrscheinlich offensichtlichste Spielprinzip ist das Schaffen von numerischen Überlegenheiten um den Ballführenden. Im Aufbauspiel fällt bei Guardiolas Teams oft ein Sechser in die Abwehrkette zurück, wenn der Gegner mit zwei Stürmern presst (Salida Lavolpiana) . So kann eine 3vs2 Überzahl geschaffen werden, welche den Spielvortrag vereinfacht.

Auch in offensiveren Zonen lässt sich dieses Prinzip anwenden, indem mehrere Spieler sich auf die gleiche Seite bewegen, um diese zu überladen. Sobald ein Spieler durch die numerische Überlegenheit frei wird, besteht das Ziel darin, diesen über Ablagen oder Passkombinationen anzuspielen.

SC Paderborn - Hallescher FC OFF5
Schonlau mit Ball vorgerückt, Boeder breit und hoch, Zolinski frei in eingerückter Position

Da Halle in der Defensive die Breite und Positionen gehalten hat, wäre es für Paderborn möglich gewesen, ballnah Überzahlen zu schaffen, und somit Spieler in gefährlichen Zonen anspielbar zu machen.

Positionelle Überlegenheit

Die wohl wichtigste Überlegenheit ist die positionelle. Der Begriff ist dabei sehr weit gefasst. So wird sowohl die vorteilhafte Besetzung des Spielfeldes mit gleichmäßigen Abständen und der Streckung des Spielfeldes in Breite und Tiefe, als auch die Körperhaltung und Orientierung der Einzelspieler bezeichnet.

Durch die Besetzung breiter Positionen sollen die Abwehr gestreckt und zentrale Räume geöffnet werden. Durch ständige Läufe in die Tiefe soll die Verteidigung deorganisiert und gestresst werden, wodurch sich die Zeit am Ball erhöht. Die Spieler sollen sich darüber hinaus in einer Struktur bewegen, welche aus Dreiecken besteht und damit immer mindestens zwei Passoptionen ermöglicht.

Individuell sollen sich die Spieler möglichst in Zwischenlinienräumen positionieren und in diesem den Abstand vom Gegner so groß wie möglich halten. Zudem sollen sie so oft wie möglich eine geöffnete Körperhaltung einzunehmen, sodass sie sich zum Tor bewegen können, ohne aufzudrehen, gleichzeitig aber einen größtmöglichen Teil des Spielfeldes überblicken können.

SC Paderborn - Hallescher FC OFF6

Wenn man diese Prinzipien auf das Spiel anwendet, könnte man auf eine Struktur wie die obige kommen, in welcher Boeder als Rechtsverteidiger weit aufgerückt ist, während Zolinski einrückt und Herzenbruch tief bleibt. Boeder und Jimmy halten Somit die Breite. Zusammen mit Michel sorgen sie zudem für Tiefe.

Die Mittelfeldspieler versuchen sich an den Kanten der defensiven Zonen zu bewegen, um die  Abwehrstruktur zu destabilisieren. Gleichzeitig ist das Feld ausgewogen besetzt, das Spiel kann somit leicht verlagert werden.

Individuelle Überlegenheit

Letztendlich laufen alle Prinzipien darauf hinaus, individuelle Vorteile zu schaffen oder zu unterstützen. So sollen technisch starke Vorlagengeber in zentralen Räumen anspielbar gemacht oder dribbelstarke Außenstürmer in 1vs1 Situationen gebracht werden.

Das plakative Beispiel bei Paderborn wäre Jimmy. Gegen den HFC konnte er vor allem zu Ende seine überlegene Geschwindigkeit auf der Außenbahn ausspielen. Der Ball brauchte durch die unausgewogene Paderborner Struktur allerdings zu lange, um bei ihm anzukommen. Sobald der Hallersche Flügelverteidiger Unterstützung erhielt, sank die Erfolgschance.

Allgemein: Stress

Tiefes Verteidigen ist vom physiologischen Aufwand die entspannteste Phase des Spiels. Rein körperlich ist ein zielgerichtetes Ballbesitzspiel teils deutlich anstrengender. Der Grund, warum tief stehende Mannschaften oft zum Spielende einbrechen, ist psychologischer Natur: Die ständige Belagerung verlangt dauerhafte Konzentration, ohne dass sich Erfolgserlebnisse oder Entlastung einstellen.

Das Ziel für die Angreifer muss entsprechend auch darin liegen, den Stress für die Verteidiger durch Positionswechsel, Anbieten im Rücken, Geschwindigkeit und Tororientiertheit im Spiel hoch zu halten und damit Fehler zu erzwingen.

Fazit

Paderborn hat in diesem Jahr eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht. Am Anfang der Saison griffen die Gegner den sportlich abgestiegenen SCP aggressiv an und öffneten so Räume für Konter. Mittlerweile versuchen sie lediglich den Bus zu parken. Es ist für jede Mannschaft schwierig sich auf so schnell ändernde Anforderungen einzustellen.

Der Vergleich mit Manchester City oder dem FC Bayern ist dementsprechend unfair und natürlich nicht ganz ernst gemeint. Dennoch kann man auch bei geringerem individuellen Niveau von den besten seines Fachs lernen. Inwieweit das geschehen ist, wird sich nach der Winterpause zeigen.

Am Dienstag steht hingegen ein Spiel an, welches wahrscheinlich andere Kompetenzen abverlangen wird: Kompaktheit und Umschaltspiel.

2 Kommentare zu „Belagerungstechnik 1.01

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