Der zweite Turm

Von der Spitze der dritten Liga grüßt, pünktlich zur Winterpause, der 1. FC Magdeburg. Nach der starken letzten Saison und Tabellenplatz 4 startete der von Jens Härtel (genau wie in der Tabelle mit zwei Punkten zu viel) trainierte FCM als Mitfavorit auf den Aufstieg mit großen Hoffnungen in das neue Jahr.  Diesen konnte er bisher in vollem Maße gerecht werden. Nach 20 Spieltagen hat Magdeburg die zweitbeste Defensive (18 Gegentore), drittbeste Offensive (34 Tore) und mit 46 eine überragende Punktzahl aufzuweisen.

Kaderanalyse

Kader
Einschätzung aller Spieler mit mindesten 5 Einsätzen
1. FC Magdeburg -
Häufigste Aufstellung oben; Ersatzspieler unten

In der Defensive verfügt Magdeburg über eine gute Auswahl an  Spielern für die zentralen Positionen der üblicherweise verwendeten 3er/5er-Kette. Hammann, Weil und Schäfer repräsentieren im Spielaufbau Spitzenniveau der 3. Liga, allerdings fallen auch Handke und Schiller nicht signifikant ab. Die gute Geschwindigkeit und Antizipation erlauben es dem FCM, offensiv zu verteidigen.

Da die linke Seite fokussiert wird, werden die stärkeren Aufbauspieler als Innen- und linker Halbverteidiger eingesetzt, Handke oder Schiller besetzten die rechte Halbverteidiger-Position.

Die Außenverteidigung hingegen ist eher spärlich besetzt. Das Stammpersonal besteht im starken Butzen auf der rechten und Niemeyer auf der linken Seite. Letzterer wäre offensiver und zentraler eigentlich besser aufgehoben, zeigt aber auch auf der defensiven Position gute Leistungen.

Hinter den beiden findet sich kein nomineller Ersatz. Falls Niemeyer fehlte, wurde er von Hammann vertreten. In der hohen Außenverteidiger-Position kommen dessen Qualitäten im Spielaufbau allerdings wenig zur Geltung. Auch offensiv fehlt ihm die Finesse und Dribblingstärke, welche Niemeyer auszeichnet. Auf der rechten Seite konnte Butzen bisher jedes Spiel bestreiten. Durch die mangelnde Kaderbreite könnten sich bei Verletzungen Probleme ergeben.

Das Mittelfeld wird vom tiefen Rother und einem sich höher bewegenden Partner besetzt. Zu Anfang der Saison wurde diese Rolle von Sowislo eingenommen, seitdem übernahm zunehmend Erdmann. Während ersterer verschiedenste Positionen einnimmt, bewegt sich Erdmann weniger flexibel im offensiven Mittelfeld. Gerade im Pressing ist er durch seine hohe Intensität enorm wichtig.

Hinter und neben Topstürmer Beck ergeben sich abhängig vom Gegner, taktischer Maßgabe und aktueller Form verschiedenste Konstellationen. Zum Jahresbeginn spielte hinter dem Sturmduo Beck/Türpitz eine klare Zehn. Diese wurde von Ludwig offensiver und freier ausgeführt als vom eher auf Balance bedachten Schwede. Im Saisonverlauf spielte Türpitz seine Rolle eher ausweichend. Folglich verschob sich die Zehnerrolle weiter in den Halbraum.

Offensive

1. FC Magdeburg - OFF1
Grundlegende Offensivstruktur mit hohen Außenverteidigern

Magdeburg bildet im Spielaufbau eine breit aufgefächerte Dreierkette. Der linke Halbverteidiger ist dabei etwas weiter außen im Halbraum positioniert. Davor versucht sich Rother hinter der ersten Pressinglinie des Gegners anspielbar zu machen. Sein Mittelfeldpartner schiebt höher ins offensive Mittelfeld, wo er sich entweder zentral hinter der Sturmreihe in einer Raute positioniert, oder mit einem zurückfallenden Halbstürmer eine Doppelzehn bildet. Die Außenverteidiger besetzen die Außenbahn und variieren ihre Höhe je nach Situation.

Aus dieser Struktur ergeben sich vielseitige Muster für den Spielvortrag.

Präferiert werden lange Flachpässe von der Innenverteidigung oder der Halbverteidiger-Position ins Sturmzentrum. Rother hilft in der Vorbereitung dieser Eröffnung durch geschicktes Binden von Gegenspielern. In Verbindung mit der numerischen Überzahl im Aufbau (in den meisten Partien 4v2) reicht oft eine leichte Bewegung nach außen, um den Gegner vor ein Problem zu stellen.

1. FC Magdeburg - OFF1

Während ein kurzes Anspiel auf den zentralen Rother gut als Pressingtrigger fungieren könnte, vereinfacht die seitliche Bewegung das Pressing vermeintlich noch mehr. Der Sechser steht nicht mehr auf Lücke, sondern recht nah bei einem der beiden Stürmer. Dieser wird so einfach dazu verleitet, sich etwas weiter nach außen zu bewegen, was die Lücke vergrößert. Der Sturmpartner muss die Entscheidung treffen, ob er ebenfalls herüberschiebt, oder den Abstand groß lässt. Beide Möglichkeiten spielen dem FCM in die Karten. Entweder der zentrale Passweg ist offen (2), oder auf der linken Seite kann Fortschritt erzielt werden (1).

1. FC Magdeburg - OFF5

Allgemein zeichnen Magdeburg die reziproken Bewegungen in der Spitze aus. Durch einen vertikalen oder diagonalen Lauf kann ein gegnerischer Sechser aus seiner Position gezogen werden, in den so geöffneten Raum kann Beck (oder auch Düker/Türpitz) zurückfallen und den Ball annehmen.

Ballbesitz direkt vor der eigenen Abwehr ist für jeden Gegner extrem unangenehm, da sich unmittelbar viele gefährliche Optionen öffnen. Beck bespielt nach einer Drehung gerne direkt den zuvor raumöffnenden Laufweg, gerade in den Partien, in denen Niemeyer ihn ausführte. Alternativ kann ein Schnittstellenpass in der zentrale oder ein Steilpass auf den Flügel anvisiert werden.

Man kann sich nun natürlich die Frage stellen, warum Gegner in dieser Form gegen Magdeburg agieren. Warum keine konsequente Manndeckung der Aufbauspieler? Warum keine strikte Raumorientierung mit kompakterem Verschieben?

1. FC Magdeburg - OFF6
Zielbereiche bei vollständiger Manndeckung

Die Frage der Manndeckung lässt sich einfach beantworten: Magdeburg ist individuell stärker als die Gegner. Falls der Aufbau zugestellt ist, sucht Glinker direkt den langen, hohen Schlag auf Beck, der die Mehrzahl seiner Kopfballduelle gewinnt. Zudem schafft der FCM eine enge Struktur um ihn herum, in der zweite Bälle gegebenenfalls behauptet werden können.

1. FC Magdeburg - OFF7
Gegner in Manndeckung + einen freien Spieler in der Innenverteidigung

Durch eine häufige Mischform, bei welcher der zentrale Aufbauspieler offen gelassen wird, um einen weiteren Verteidiger in letzter Linie zu gewinnen, kann die Defensive etwas stabilisiert werden. Auch in einer solchen Situation kann Beck den Ball häufig behaupten. Weil konnte eine solche Verteidigung gegen Lotte einige Male ad absurdum führen, in dem er als zentraler Innenverteidiger mit dem Ball bis ins offensive Mittelfeld vorstoß.

1. FC Magdeburg - OFF8

Gegen auf Kompaktheit bedachte Gegner fokussiert Magdeburg Flugbälle auf den ballfernen, tororientiert einlaufenden Flügelspieler. Dynamik ist dabei essenziell, da der Gegner sonst einfach Druck durch kollektives Verschieben erzeugen könnte. Gerade Butzen zeigt sich in diesen Situationen extrem stark. mit einer guten Technik und Übersicht kann er den schwierigen Ball annehmen, falls nötig einen Gegenspieler umspielen und präzise Pässe in die Mitte anbringen. Dort zeigt sich die Offensive ausgewogen im Attackieren des Tores, meist erfolgen Läufe auf den ersten und zweiten Pfosten sowie in den Rückraum. (5 direkte Vorlagen für Butzen sind ein Topwert für Außenverteidiger)

Auch wenn sie einen beliebten Weg darstellen, funktioniert Magdeburg nicht ausschließlich über lange Flugbälle. Vielmehr zeigt sich das Team variabel im Angriffsvortrag. Falls kurze Pässe ins Mittelfeld gelingen, kann über die etwas tiefer kommenden Außenverteidiger und gute Raumbesetzung der Offensiven das Spiel gestaltet werden.

1. FC Magdeburg - OFF9

Insofern die gegnerischen Außenverteidiger auf die Magdeburger herausrücken, werden Pässe in die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenverteidigung fokussiert.

Teilweise geht Rother in diesen Situationen noch die Ruhe ab, falls sich keine offensiven Optionen bieten. Statt den Pass zu den Verteidigern zurückzuspielen, erfolgt ein hoher Ball auf den Flügel. Allgemein lässt sich in diesem Bereich noch Verbesserungspotenzial ablesen. Unter Druck wird zu oft der vermeintlich sichere Weg auf den Flügel gewählt. Da durch die geringe Besetzung quasi kein Gegenpressing erfolgen kann, verliert Magdeburg unnötig Kontrolle über das Spiel.

Defensive

Magdeburg hat in der Defensive drei zentrale Maßgaben: die Besetzung der letzten Linie, das Erzeugen von Handlungsdruck und das Leiten auf den Flügel. Im Angriffspressing folgen daraus zwei Strategien.

1. FC Magdeburg - DEF1
Hohes Pressing gegen schwächere Gegner

Gegen schwache Gegner positionieren sich die Stürmer zwischen den Verteidigern, dadurch wird der Abstand minimiert, gleichzeitig aber der vertikale Weg nach vorne geöffnet. Sobald der erste Pass vom Torwart erfolgt, wird der Ballführende von zwei Spielern unter Druck gesetzt. Falls ein Mittelfeldspieler vor die Abwehr zurückfällt, wird er mannorientiert (meist von Erdmann) verfolgt

Während höherklassige Verteidiger diese Situation für vertikales Andribbeln nutzen könnten, lassen sich Spieler in der dritten Liga leicht zu hektischen Befreiungsschlägen verleiten. An diesem Punkt kommt Magdeburg die numerisch starke Besetzung der Abwehr zugute, welche Herausrücken für Kopfballduelle erlaubt.

1. FC Magdeburg - DEF2
Hohes Pressing gegen stärkere Gegner

 

Gegen stärkere Teams positionieren sich die Halbstürmer etwas enger und tiefer, der zentrale Stürmer leitet den Spielaufbau alleine. Dadurch werden die vertikalen Optionen eingeschränkt, der Spielaufbau durch die zentrale Besetzung nach außen geleitet.

1. FC Magdeburg - DEF3
Pressingfalle auf außen: Mannorientierungen und Anlaufen

Sobald der Pass auf einen Außenverteidiger erfolgt, schaltet Magdeburg in ein aggressiveres Pressing mit engeren Mannorientierungen um. Der Außenverteidiger schießt aus der Abwehrkette heraus, der Halbverteidiger sichert den geöffneten Raum. Die Doppelsechs verschiebt sehr weit auf die Seite, besetzt dabei zwei Höhen teils in einer vertikalen Linie.

Diese Pressingfalle ermöglicht es dem FCM viele gegnerische Angriffe abzubrechen. Der Ball wird aber meist nur ins Aus geklärt, saubere Ballgewinne sind eher die Ausnahme. Sollten sie dennoch zustande kommen, befindet sich Magdeburg aufgrund enger Staffelung und weniger Optionen in einer für Konter suboptimalen Lage.

1. FC Magdeburg - DEF4
Die beiden Verteidigungsmöglichkeiten bei Verlagerung in die Spielfeldmitte; Rot: Herausrücken und geöffnete Schnittstelle; Schwarz: Rückzug der gesamten Kette

Ein weiteres Problem besteht darin, dass das Mittelfeld ballfern geöffnet ist. Falls ein Gegner den Pass dorthin anbringen kann, ergibt sich für Magdeburg ein Dilemma. Entweder man rückt aus der Abwehr heraus und riskiert dadurch geöffnete Schnittstellen, oder man fällt in eine tiefere Position zurück und überlässt dem Gegner die Spielkontrolle.

Sofern der Außenverteidiger herausgerückt und der Halbverteidiger in einer breiteren Position ist, tendiert das Team eher zu letzterer Option. Wenn die Fünferkette zuvor vollständig war, ist die Restsicherung kompakter, Herausrücken wird entsprechend stärker forciert.

1. FC Magdeburg - DEF5
Struktur im Abwehrpressing

Wenn der FCM es schafft, geordnet in eine tiefe Staffelung zurückzufinden, ergibt sich eine kompakte 5-2 Formation kurz vor dem eigenen Strafraum. Die Doppelsechs wird ihrem Namen gerecht und besetzt nebeneinander die Zentrale, die drei Stürmer bleiben meist passiv vorne stehen. (Ein weiterer Grund, warum der ballferne Raum nicht geschlossen wird)

Aus dieser Ordnung wird erneut Intensität im Anlaufen und Herausrücken fokussiert. Der ballnahe Sechser geht immer in höchstem Tempo auf den Ballführenden, falls er überspeilt wird, rückt der nächste Spieler aus der Kette heraus. Die Sicherung des geöffneten Raums ist dabei verbesserungswürdig, oft machen die Verteidiger keine Anstalten, den Abstand zu verkürzen.

Weitere Schwächen bestehen in der Verteidigung langer Bälle. Die Verteidiger sind dazu angehalten, aggressiv auf diese herauszurücken. es passiert dabei häufig, dass beispielsweise Innen- und Halbverteidiger zusammen zum Kopfball sprinten. In ihrem Rücken öffnet sich dadurch ein großer Raum.

1. FC Magdeburg - DEF6
Anlaufen des linken Halbstürmers von außen lenkt das Spiel in die Mitte

Verbessert zeigt sich das Leiten des Gegners bei tiefen Verlagerungen durch die Abwehr. Anfang der Saison konnte so simpel die offene ballferne Seite bespielt werden. Mittlerweile schaffen es die Spieler durch Anlaufen und Stellen von außen öfter das Spiel in die Mitte zu lenken. Dort lässt sich mit kürzeren Wegen Zugriff erzeugen.

Je nach Aufbaustruktur des Gegners verändert sich das Pressing im Detail, die Prinzipien bleiben aber die gleichen. Schwachen Dreierketten wird meist mit zwei Stürmern begegnet, stärkeren mit drei Stürmern, die etwas zurückgezogener agieren.

Fazit und Ausblick

Alles in allem verfügt Magdeburg über einen hochklassig besetzten Kader und eine vielseitige Offensivstrategie. Allerdings fehlt im Pressing, trotz für die dritte Liga ausreichender Qualität, etwas die Stabilität. Dadurch kann Magdeburg Spiele nicht dauerhaft dominieren, hohe Abwehrketten in Ballbesitz sind nur selten möglich.

Mit einer numerisch stärkeren Besetzung des Zentrums in der Defensive, sowie variableren, weniger extremen, Mechanismen ließe sich dieses Problem lösen. Auch eine Verbesserung in der Offensive hin zu höherer Ballzirkulation wäre durch ein stabileres Pressing, quasi als Fallnetz, zu erreichen.

Letztendlich wird, insofern der Kader von schweren Verletzungen frei bleibt, der Aufstieg souverän erreicht werden. In der Meisterschaft wird es hoffentlich ein enges Rennen zwischen FCM und SCP geben, bei 2 Punkten Abstand ist keine Prognose zu treffen.

Diese Erfolge sind dem Club und vor allem seinen überragenden Fans absolut zu gönnen. Als neutraler Beobachter macht es immer Spaß, Spiele zu schauen und selbst vor dem Fernseher kann man die Atmosphäre genießen, egal ob in der heimischen MDCC-Arena oder Auswärts.

In diesem Sinne freue ich mich auf den 06. März, das absolute Spitzenspiel der Liga.

3 Kommentare zu „Der zweite Turm

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