Selten in dieser Saison gab es ein Spiel mit einer solchen Dichte an möglichen Narrativen. In den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung schien es in keinem Fall gesichert, was für ein Spiel man im Duell des erst- und Drittplatzierten der Liga erwarten sollte.
Kann der SCP seinen Lauf fortsetzen?
Spielt das Team befreit und ohne Druck auf?
Hält Mahner Baumgart den Kader in der Spur?
Oder aber:
Fehlt Paderborn nach dem gelungenen Aufstieg die Intensität und Lust?
Geht die Mannschaft gar verkatert aus den Feierlichkeiten?
Gelingt es Karlsruhe, Torwart Zingerle mal wieder ein Tor einzuschenken?
Besteht das Bollwerk der besten Defensive der Liga weiterhin oder wird sie vom Paderborner Zug überrollt?
Wie viele Rekorde wird der SCP noch brechen?
Eine zusammenhängende Antwort auf diese Fragen zu finden, gestaltet sich nicht nur aufgrund ihrer schieren Menge schwer. Nein, auch das Spiel und sein Verlauf gestalteten sich paradox: Die beste Offensive bleibt ohne Treffer, auch wenn die Gegenseite mannschaftlich schwach verteidigt. Paderborn zeigt eine gute, engagierte und intensive Leistung, verpasst aber dennoch die Chance auf einen neuen Liga-Rekord.
Versuchen wir mal, das ganze methodisch aufzuarbeiten…
Mannschaftsaufstellungen

Im Ost-Westen nicht neues… Steffen Baumgart behält Startaufstellung und taktische Ausrichtung dieser erneut unverändert bei.
Auf der Gegenseite möchte sich auch Alois Schwartz keine Blöße in Sachen Konstanz geben und verändert die Mannschaft lediglich auf einer Position. Camoglu kommt für Bülow auf die linke Seite der 4-4-2-Formation. Überhaupt setzt der KSC in dieser Saison auf Routine, ganze vier Spieler: Uphoff, Pisot, Muslija und Schleusener bestritten bisher jede Partie.
Karlsruher Angriffsbemühungen
Bei einem Endstand von 0:0 ist es relativ naheliegend zu analysieren, warum keinem der beiden Teams ein Torerfolg vergönnt war. Diese Torlosigkeit scheint beim KSC, der als Aufstiegskandidat mit lediglich 45 Toren nur die zehnt-beste Offensive der Liga besitzt, System zu haben. Auch wenn in der Rückrunde der ein oder andere höhere Sieg gelang, ziehen sich Nullnummern wie ein roter Faden durch die Saison.
Die mangelnde Ausbeute ließe sich sicherlich auf einen Defensivfokus, auf Risikovermeidung im Angriff zugunsten von Absicherung schieben, diese Erklärung würde der Realität aber nicht wirklich gerecht.
Wie ich in der letzten Analyse bereits ausführte, stellt die Grundstruktur eines Teams im Angriff ein gutes Maß für die Qualität der Absicherung und Möglichkeiten im Gegenpressing dar. Ohne Alois Schwartz nun ein frühes Grab schaufeln und seine Mannschaft mit Unterhaching vergleichen zu wollen, muss man festsstellen, dass der KSC durchaus aggressiv und mutig im Angriffsspiel agiert.
Im Spielaufbau fächert die Viererkette weit auf, während die Flügelspieler situativ weiter in die Mitte ziehen. Aus dieser Staffelung wird sofort der Flügel gesucht, auf dem entweder direkt lineare Durchbrüche durch Dribblings und Schnittstellenpässe erzeugt werden sollen, oder, konzeptionell vielversprechender, schnelle Verlagerungen auf den ballfern offenen Außenverteidiger gesucht werden sollen.
Während die erste dieser beiden Möglichkeiten das Problem eines sehr engen, weit auf den Flügel verschobenen Gegners hat, der logischerweise mehr Druck erzeugen kann und kleinere Schnittstellen anbietet, kann man diesen durch eine Verlagerung zum (unwillkürlich asynchron erfolgenden) Verschieben zwingen, und somit horizontale Lücken öffnen.
(Spieler, welche sich in Ballnähe eher auf einen Gegenspieler orientiert haben, erwarten nicht unbedingt eine Verlagerung. Wenn diese doch erfolgt brauchen sie üblicherweise länger um umzuschalten und auf die andere Seite zu verschieben)

Bei solchen Angriffen können auch die zuvor engeren Positionen der Flügelspieler für diagonale Läufe nach außen eingebunden werden. Diese Bewegungen müssen vom Außenverteidiger verfolgt oder zumindest im Blick behalten werden, da sich ansonsten ein einfacher Pass die Seitenlinie entlang ermöglicht. Gleichzeitig wird so eine Lücke zwischen Innen- und Außenverteidiger geöffnet.
Dieser Riss in der Viererkette wird durch die Positionierung der beiden Stürmers und des ballfernen Flügelspielers auf den langen Pfosten und die folgliche Orientierung der Innenverteidiger auf eben diesen noch verstärkt.
Wie man diese Öffnung ausnutzen kann, zeigte Karlsruhe in einigen Situationen. Ein tief gebliebener Sechser bewegte sich schon während der Verlagerung mit Dynamik in diese Schnittstelle im Halbraum, wo er durch einen diagonalen Pass des AV erreicht werden kann.
Gerade auf der rechten Seite zeigte sich Thiede sehr stark im Abwarten des passenden Moments für einen Schnittstellenpass sowie in der Ballbehauptung, falls ein Paderborner früher als erwartet in den Zweikampf kam.
…Lange Rede, wenig Sinn.
Zwar waren diese Angriffsmuster auf Karlsruher Seite erkenntlich und potenziell enorm durchschlagskräftig, sie wurden aber nur viel zu punktuell gezeigt und wenig fokussiert. Probleme ergaben sich bereits in der Einleitung auf der überladenen Außenbahn, wo viel zu oft der wenig erfolgsversprechende direkte Weg gesucht wurde, genauso wie in der strategischen Orientierung des Spielaufbaus ausgehend vom Torwart.
Anstelle Feuer mit Feuer zu bekämpfen und den SCP mit einem strukturierten und konstruktiven Angriffsspiel in lange Defensivphasen zu zwingen, wurde, anscheinend aus Angst vor dem Paderborner Angriffspressing, sehr früh der lange Ball in kompakte Staffelungen gesucht. Ob man aus solchen Chancen erzeugt, obliegt gegen sehr aggressive Paderborner fast ausschließlich dem Zufall, die Erfolgsquote war entsprechend gering.
(Achso, Paderborn verteidigt das auch ganz gut – verschiebt früh und vollständig, zieht Pressingläufe bis auf den Torwart durch und nimmt ihm damit die Ruhe für einen präzisen Pass)
Teilzeit-Bollwerk
Es mag von gewissen Arroganz zeugen, die den Fan einer Spitzenmannschaft einholt, wenn man die beste Defensive der Liga kritisiert, in diesem Fall ist es mir aber ein Anliegen. Ich verstehe schlichtweg nicht, wie Karlsruhe so oft ohne Gegentor bleiben kann…
Aus den wenigen Karlsruher Spielen, die ich in dieser Saison sehen konnte (und liebe KSC-Fans, korrigiert mich, wenn ich falsch liege), ergab sich mir das Bild einer Mannschaft, die in ihrer 4-4-2-Formation zwar tief, dafür aber enorm kompakt und diszipliniert, geradezu nach DFB-Schema-F, ballorientiert verschob und verteidigte.
Der SCP stellt in seiner gesamten Spielanlage sicherlich eine andere Herausforderung dar, als (alle) anderen Mannschaften dieser Liga. Nur selten wird so konsequent von hinten herausgespielt, nur selten so flexibel attackiert, nur selten so sehr die Mitte fokussiert.

Unter anderem folgt die Notwendigkeit, Angriffspressing zu betreiben, um den Ball überhaupt mal zu sehen. In diesem agierte der KSC durchaus interessant. Der Paderbrner Torwartkette wurde mit den beiden, leicht eingerückt agierenden Stürmern begegnet, während sich dahinter ein nach vorne gestoßener Sechser um Krauße und Ritter kümmerte, die zunächst eher tief blieben. Die verbleibenden Spieler des Mittelfelds schoben dafür etwas enger zusammen, um das Zentrum zu schließen.
Absurderweise standen dem SC in dieser Deckung nahezu alle Optionen offen. U-förmige Zirkulation in der aufgefächerten Viererkette stellte in Anbetracht des sehr bewussten, langsamen Anlaufens der beiden Stürmer ebenso eine Möglichkeit dar wie ein flaches Anspiel ins Mittelfeld oder ein Chipball auf die Außenverteidiger.
Paderborn allerdings unterließ den ersten Pass ins Zentrum zu Beginn des Spiels fast vollständig. Grund dafür war neben der ehrlich gesagt suboptimalen (weil zu flachen und vom Gegner verstellten) Staffelung von Ritter und Krauße untereinander wohl auch das Bewusstsein über die unfassbare Intensität, die Mehlem und Wanitzek auszeichnet. Die bloße Präsenz des Letzteren schien bereits zu genügen, um von einem Anspiel abzusehen.
Im Verlaufe der Partie stellte sich das Paderborner Mittelfeld-Duo besser auf das Pressing ein und bewegte sich vertikaler zueinander, sodass man Wanitzek recht einfach überspielen konnte. Insbesondere zeigte sich horizontales kreuzen als gute Möglichkeit, den Ball unbedrängt im Halbraum zu erhalten.
Diese (Halbräume) zeigten sich allgemein recht angreifbar. Da die Positionierung der Flügel weder Fisch noch Fleisch war, Pässe durchs Zentrum ebenso zuließ wie Verlagerungen auf den Flügel, konnte Paderborn recht früh Vertikalpässe aus dem Mittelfeld oder diagonale Anspiele eines Außenverteidigers, auf die zurückfallenden Stürmer ansetzen.
Diese Bewegungen wurden von den Innenverteidigern nicht verfolgt, ganz im Gegenteil. Wann immer Paderborn Zeit und Raum am Ball hatte (also immer), ließ sie Abwehr sich früh tief fallen, um Steilpässe in den Rücken zu verhindern. Die Rückzugsbewegungen der Flügelspieler waren dabei keineswegs so intensiv, sodass die Verteidigung des Mittelfelds gegen bis zu 6 Paderborner (zurückfallende Stürmer, einrückender Jimmy, Klement, Ritter, (Krauße)) lediglich Mehlem und dem schnell zurückkehrenden Wanitzek oblag.
Dass dennoch Ballgewinne im Zentrum gelangen, ist das vielleicht größte Kompliment, was man der Karlsruher Doppelsechs überhaupt machen kann. Auf sich allein gestellt zeigten sie eine unglaubliche Dynamik und gewannen die große Mehrzahl ihrer Zweikämpfe.
Sobals die Abwehr bis ca. 10 Meter vor den eigenen Strafraum zurückgefallen war, zeigte sich noch eine andere Seite des Defensivplans. Während die Innenverteidiger Pisot und Gordon ihre Gegner lediglich stellten (dabei aber ein unglaubliches Bewusstsein für Läufe in ihren Rücken zeigten), gingen die Außenverteidiger Thiede und Föhrenbach, aufgrund des Einrückens ihrer Gegenspieler zentral auf die Jagd. Jede schlechte Körperhaltung, jede unzureichende Ballannahme wurde sofort und unmittelbar zum Zweikampf ausgenutzt.
(Dies führte situativ zu recht absurden Staffelungen, in denen die Viererkette eher ein Quadrat darstellte.)

Paderborn agierte hingegen etwas überrascht von dieser Herangehensweise. Gerade das Kreuzen von Jimmy in den Halbraum wird üblicherweise nicht verfolgt. Zudem zeigte Tietz sein bisher schwächstes Spiel im SCP-Dress und unterbrach viele Angriffe durch unpräzise Ablagen oder Steilpässe.
Bei aller berechtigter Kritik am Rückzugsverhalten des KSC sollte man zwei Dinge nicht vergessen. Zum einen agiert die Viererkette, isoliert betrachtet, nahe an der Perfektion. Passoptionen werden konstant im Blick behalten, Herausrücken erfolgt nur im passenden Moment. Zum Anderen wird das Karlsruher Defensivspiel enger kompakter und vor allem zahlreicher, wenn man über einen längeren Zeitraum tief verteidigt. In Kombination mit der unverändert hohen Intensität eine doch sehr stabile Mischung.
Fazit
Zusammenfassend muss man wohl feststellen, dass keine der beiden Mannschaften vollumfänglich den (meinen) Erwartungen gerecht wurde. Der KSC ist kein defensiver Alleskönner, sondern eine Mannschaft, die eine Strategie und einige wenige taktische Prinzipien sehr gut umsetzt, und dabei überragende Einzelkönner in ihrem Repertoire hat.
Ähnliches lässt sich auch über den SC Paderborn und seine Offensive sagen. Vieles funktioniert gut (Positionsfindung im Mittelfeld, Vertikalpässe), einiges sogar sehr gut (Tiefenläufe, Variabilität, Halbraumbesetzung), die Spieler sind stark für die dritte Liga. Die letzten Spiele legten dennoch eine Messlatte, die zu überspringen einer jeden Mannschaft schwer fallen dürfte.
In den verbleibenden 2 Spielen (+Westfalenpokal) muss man wieder gewinnen, um die überragende Saison noch mit Titeln zu krönen. Zumindest für einen der beiden braucht es Glück – der 1. FC Magdeburg gewann seine Partie in Halle souverän mit 2:0 und hat die Meisterschaft in der eigenen Hand…