Am dritten Spieltag der Saison war der SC Paderborn zu Gast beim Angstgegner aus Fürth. In den vergangenen neun Spielen in Fürth konnte der SCP nicht einmal gewinnen, holte nur drei Punkte und 4 Tore, während die Gastgeber 23 einschenkten.
In der ersten Halbzeit schien man dieser Tradition ein Ende bereiten zu können, nach einer schwachen Anfangsphase wurden die Paderborner zunehmend dominanter und gefährlicher – bis das allzu bekannte schlechte Drehbuch zuschlug.
Mohammed Dräger erhielt in der Nachspielzeit der ersten Hälfte eine harte gelb-rote Karte für ein Foul an der gegnerischen Eckfahne, Paderborn musste eine ganze Halbzeit mit 10 Mann bestreiten. Fürth konnte diesen Vorteil natürlich nutzen, ging früh in Führung und machte trotz schwächer werdender Leistung in der 84. Minute den Deckel drauf. Das Drehbuch war durch, die Geschichte zu Ende erzählt.
Doch dann begann ein anderer Film, ebenso klischeehaft, aber weitaus kitschiger. Zunächst zirkelte Klement einen Freistoß aus 20 Metern unhaltbar ins Lattenkreuz, ehe Paderborn alles, oder, genauer gesagt, Uwe Hünemeier nach vorne warf. Im Anschluss einer Ecke spielte dieser auf Gut Glück eine Halbfeldflanke in den Rücken der aufrückenden Fürther Abwehr. Der Ball passierte den Gegner… und traf genau die hervorstechende Picke von Lukas Boeder. Der SCP hatte das Spiel gedreht!
An dieser Stelle kann man den Fernseher ausschalten und sich der Aufholjagd erfreuen… oder man quält sich durch den Sky-Player, um das Spiel in der Wiederholung zu analysieren.
Neben der offensichtlichen Geschichte des Spiels gibt es nämlich noch einige taktische Aspekte, die witzigerweise der Fürther Perspektive ähneln. Gute Ausgangssituationen, die unglücklich, wenn auch kosmisch gerecht, zunichte gemacht werden.
Mannschaftaufstellungen
Nach der kräftezehrenden und geradezu tragischen Pokalniederlage gegen Borussia Dortmund gab es bei der Spielvereinigung drei Wechsel: Bauer, HIlbert und Omladic wurden von Caligiuri, Sauer und Mohr ersetzt. Mit diesem Personal staffelte man sich in einer 4-3-3 Formationen, wobei sich die Flügelspieler sehr breit postierten und Green als linker Achter deutlich höher agierte als Nebenmann Ernst.
Auf Paderborner Seite gab es ebenfalls drei Änderungen im Vergleich zum Pokalsieg gegen Ingolstadt zu verzeichnen. Stammtorwart Zingerle kehrte ins Tor zurück, Schwede ersetzte Zolinski und Marlon Ritter feierte sein Startelfcomeback für den angeschlagenen Tekpetey kommend. Defensiv agierte diese Elf aus einer 4-1-3-2 Formation, welche sich nach Ballgewinn aufgrund von Ritters Bewegungsfreiheit vor der letzten Linie eher als 4-2-1-3 darstellte.
Fürther Pressing
Paderborn agierte im Aufbauspiel wie gewohnt vom Abstoß weg sehr weiträumig. Die Innenverteidiger fächerten zumeist neben den Strafraum auf, die Außenverteidiger schoben an der Linie auf eine Höhe mit Klement und Gjasula, die zunächst auf gleicher Höhe agierten und Zingerle durch ihr Zurückfallen kurze Klatschpässe anboten.
Zu Beginn der Partie zeigte sich die Fürther Reaktion auf diese Staffelung als durchaus interessant. Während Keita-Ruel sich auf der linken Fürther Seite nah an Hünemeier positionierte, übernahmen Green und Ernst Manndeckungen auf Klement und Gjasula. Atanga positionierte sich derweil in einer Zwischenposition von Strohdiek und Collins, sodass letzterer mit einem Chipball anspielbar gewesen wäre.
Durch dieses System schien Fürth eine Gleichzahl in der Spielfeldmitte bewahren zu wollen, während der Aufbau auf die als schwächer ausgemachte linke Paderborner Seite geleitet werden sollte.
Paderborn allerdings reagierte nicht wie erwartet. Anstelle das Mittelfeld zu bespielen, wurden in der Anfangsphase lange Bälle gesucht, anstelle die linke Seite zu nutzen, konzentrierte man sich auf dennoch auf rechts. Das Resultat waren lange Bälle auf den halbrechts zurückfallenden Jimmy, welche von Zingerle oder Strohdiek gespielt werden konnten.
Mit der Verletzung von Atanga und dessen Auswechslung gegen Raum erfolgte die Umstellung auf eine vollständig mannorientierte Herangehensweise bei Paderborner Abstößen, jedem Spieler wurde klar und eindeutig ein Gegner zugewiesen, Green ging auf Strohdiek, Raum auf Collins.
Der SCP hatte mit dieser Herangehensweise einige Probleme. Zum Einen wurde bereits beim ersten Pass auf den Innenverteidiger mehr Druck erzeugt, zum Anderen konnte das bewusst hoch und flach postierte Paderborner Mittelfeld seinen numerischen Vorteil nicht Ausspielen. In 40 Metern Entfernung vom Torwart standen Gugganig und Ernst einfach zentral in der Dreierreihe, die sich im Paderborner Mittelfeld durch Zurückfallen von Ritter ergab.
Es ist mir zwar relativ unverständlich, warum in diesem extremen Maße auf eine Mittelfeldstaffelung verzichtet wurde, vielleicht aber wollte man den Pressingtrigger eines geschlossen stehenden, tiefen Sechsers, verhindern und durch dynamisches Zurückfallen ersetzen (das aber ebenso geschlossen ist), keine Ahnung, was weiß ich!? Die Mittelfeldspieler fielen mit zunehmender Spielzeit häufiger gestaffelt zurück aber Paderborn konnte die initial beschriebene Situation dennoch lösen, genauer gesagt gab es zwei hauptsächliche Methoden.
Die erste Möglichkeit bestand im Locken des Pressings von Keita-Ruel auf Zingerle, wodurch Hünemeier frei und entweder extrem riskant direkt, oder weniger riskant über einen der beiden Mittelfeldspieler anspielbar wurde und Andribbeln konnte. Die zweite Möglichkeit blieb der eben erwähnte frühe Pass auf einen der Flügelspieler, die es wiederum schafften, sich nach innen von ihrem Gegenspieler wegzudrehen und das Spiel in den offenen Fürther Sechserraum zu tragen. (Gugganig steht schließlich weiter vorne)
Wenn Paderborn geordnet vorrücken konnte, fiel die Spielvereinigung im Mittelfeldpressing in eine 4-3-2-1 Formation zurück, bei der Keita-Ruel sich auf den Paderborner Sechser, oder, falls nicht vorhanden, zwischen den Innenverteidigern postierte. Aus dieser Position lief er einen inneren Bogen auf den Ballführenden IV, sodass der Ball auf einer Seite gehalten werden konnte. Die Zentrumsspieler orientierten sich weiterhin stark an ihrem direkten Gegenspieler, wenn diese sich in ihre Zone bewegten. Die beiden Flügelspieler agierten tief, auf Höhe des Sechsers, und sollten die präferierten diagonalen Pässe der Paderborner Außenverteidiger verhindern.
Aus den Mannorientierungen resultierten auch weiterhin vielversprechende Paderborner Angriffe. Ein Anspiel ins zentrale Mittelfeld lockte häufig Gugganig heraus, sodass folgende Anspiele auf die Offensiven zur geöffneten Mitte hin verarbeitet werden konnten. Erschwerend hinzu kam hierbei, dass die Fürther Abwehr nicht nach vorne verteidigte, sondern sich voll und ganz auf die Kompaktheit der Kette und deren Zurückfallen verlagerte, wodurch quasi kein Druck entstand.
Wenn Fürth sich das Leben nicht durch unkluge Bewegungen des Mittelfelds unnötig selbst schwer machte fokkussierte Paderborn in seinem Angriffsspiel deutlich die rechte Seite. Nicht nur Ritter schob im Zwischenlinienraum weit zu Jimmy herüber, auch Michel bewegte sich an der letzten Linie häufig nach rechts. Ergänzt wurden diese Positionierungen durch das ständige Überlaufen von Dräger sowie Ausweichen von Klement. Die Ballung an spielintelligenten, schnellen und ballsicheren Spielern zeigte sich sehr beweglich und konnte das Spiel so entwickeln. Problematisch gestaltete sich die Situation immer dann, wenn durch einen Mangel an passenden Dynamiken keine Optionen geöffnet werden können und einem die Enge der gegnerischen Staffelungen zum Verhängnis wird (vgl. Entstehung schwarzes Loch).
Wenn man nicht auf die rechte Seite kam, sah das Angriffsspiel eher düster aus. Auf links fehlten die Anspielstationen in die letzte Linie sowohl für Collins als auch für Strohdiek, sodass letzterer häufig die weite Spielverlagerung auf den ständig hoch laufenden Dräger suchte. Dieses Anspiel ist insofern problematisch, als dass es Paderborn zuvor nicht gelang, Fürth auf die linke Seite zu ziehen und Rum auf rechts zu öffnen. Bei langen Verlagerungen wie dieser kann ein Gegner bis zu 20 Meter schließen, von fünf ganz zu schweigen.
Vergebenes Potenzial
Das Angriffsspiel auf Fürther Seite lässt sich etwas kürzer abhandeln. Anders als beim SCP lag bei der Spielvereinigung keine wirkliche Orientierung auf flache Lösungen tiefer Aufbausituationen vor. Eklatant wurde dieser Mangel an Fokus bei Rückpässen zu Torwart Burchert überdeutlich. Anstatt Aufzufächern und dem Torwart so Passoptionen durch bessere Passwinkel zu verschaffen, blieben die Verteidiger weitestgehend in ihrer Defensivformation, wenn der Ball tief gewonnen wurde.
So kann natürlich kein flacher Spielaufbau gestaltet werden, es erfolgte zumeist der lange Schlag. Kurze Lösungen aus dem Paderborner Angriffspressing, das sich wie üblich in einem mannorientierten 4-1-3-2 gestaltete (und das ich an dieses Stelle nicht erneut ausführen möchte), waren nahezu ausschließlich improvisiert, zum Beispiel durch die nicht zu unterschätzende Pressingresistenz Gugganigs, der sich einige Male gegen den im Rücken anlaufenden Klement durchsetzen und das Spiel flach nach vorne tragen konnte.
Es ist zutiefst bedauerlich, dass Fürth die erste Aufbauphase nicht stärker fokussiert, da sie in der zweiten Phase, gegen ein Paderborner Mittelfeldpressing, das sich als 4-4-1-1 mit vielseitiger Unterstützung durch Ritter darstellte, eine sehr interessante 2-3-2-3 Struktur mit einrückenden Außenverteidigern anlegten. Diese Formation, oder besser gesagt die Idee, Außenverteidiger neben den Sechser hervorrücken und den Halbraum besetzen zu lassen, kam durch Pep Guardiola zu großer Prominenz, auch Kiel agierte in der vergangenen Saison mit einer ähnlichen Struktur sehr erfolgreich.
Gegen den SCP hätte es Fürth möglich sein können, durch geduldige Zikulation in den ersten beiden Linien die Abstände im Paderborner Zwischenlinienraum, oder besser gesagt, neben Gjasula zu erhöhen, die in der Folge über Dritte-Mann-Kombinationen unter Einbindung des Flügelspielers hätten genutzt werden können.
Allerdings musste man auch in diesem Spiel feststellen, dass eine Formation keine Spielphilosophie ist. Während die selbe Struktur bei einer Mannschaft mit Verständnis von Positionsspiel enorm mächtig sein kann, nützt sie ohne das selbige nur durch die inhärente Augeglichenheit und Balance der Formation.
Tatsächlich versuchte Fürth nie wirklich, Paderborner Mittelfeldspieler herauszulocken oder den Achtern Raum zu verschaffen. Bei fast keinem Angriff schien ein Bewusstsein dafür zu herrschen, dass Pässe nach außen Raum in der Mitte, und Pässe ins Zentrum Raum auf der Außenbahn öffnen. Dies führte zu Situationen, in denen ein Anspiel auf den Achter riesige Korridore für die Flügelspieler öffnete, die aber trotzdem nicht angespielt wurden. Aus Paderborner Sicht wohl zum Glück, schließlich wurden die Flügelangriffe zur Grundlinie stets gefährlich.
Diese Unfähigkeit, ein geordnetes Ballbesitzspiel aufzuziehen wurde in der zweiten Hälfte, gegen 10 Gegner, nur noch eklatanter.
Anpassungen
Nach der Pause stellte der Schutzpatron nämlich auf ein 4-1-3-1 um. Durch diese Anpassung änderte sich das Offensivspiel nicht fundamental, es wurde in Ermangelung von Ritter (und allgemein eines Spielers) gänzlich auf Überladungen einer Seite verzichtet. Stattdessen gestaltete sich der Spielvortrag symmetrischer und noch mehr auf frühe Tiefenpässe ausgerichtet. Durch den größeren Offensivdrang der Fürther wurden des Weiteren auch Paarkombinationen am rechten Flügel möglich, in denen Boeder sein gruppentaktisches Geschick in passendem Timing und guten Laufwegen zeigen konnte.
Im Pressing wurde nur die Besetzung der ersten Linie reduziert, Klement stoß allerdings aus einer Besetzung des Sechserraums auf einen der Innenverteidiger vor, wenn Michel zuvor auf der anderen Seite gebunden war. Diese situativen 4-1-2-2 Strukturen wurden nach der Einwechslung von Zolinski zur Regel. Paderborn konnte so zwar Druck auf die Abwehrkette erzeugen, musste sich aber bei Fürth bedanken, dass der enorm offene Zwischenlinienraum kaum genutzt wurde.
Auch wenn Paderborn sich weiterhin Chancen erspielen konnte, war die schlussendliche Aufholjagd glücklich. Der Freistoßtreffer sagt mehr über die schiere, von mir propagierte Brillianz Philipp Klements als über das Spiel aus. Der Ausgleich fiel nach einer unzureichend geklärten Ecke und schwachem Nachrücken der Fürther Abwehr und war demnach ebenfalls nicht repräsentativ.
Fazit
Der SCP zeigt gegen einen ambitionierten Ligakonkurrenten ein starkes Spiel mit neuen offensiven Ansätzen, während das Pressing auch mit nur 10 Mann weiterhin greift. Greuther Fürth hingegen wird nach einer Woche voller Last-Minute Gegentore einen kritischen Rückblick richten müssen. Es ist zu hoffen, dass die Ansätze guter offensiver Struktur und starken Mittelfeldpressings diesem nicht zu Opfer fallen, sondern eine weitere Forcierung des eigenen Ballbesitzspiels vorgenommen wird.
Denn wenn diese Liga eines gebrauchen kann, dann mehr Fußball…