Asymmetrische Symmetrie

Am vierten Spieltag der Saison empfing der SCP den VfL Bochum, ein Team, das in der bisherigen Saison sechs Punkte gewinnen konnte. Mit einem Sieg hätten beiden Mannschaften den ersten Tabellenplatz, zumindest über Nacht, erreichen können. Aus dieser Ausgangslage entwickelte sich ein Spiel, in dem die Paderborner ein deutliches spielerisches Übergewicht und viele, wenngleich schlechte Möglichkeiten aufweisen konnten, während Bochum jeden seiner wenigen erfolgreichen Angriffe zu einer guten Chance bringen konnte.

In der Summe handelt es sich beim 2:2 um ein verdientes Ergebnis mit dem keine der beiden Mannschaften zufrieden sein wird; Paderborn aufgrund seiner Spielweise und Bochum aufgrund der riesigen Chancen in der Schlussphase.

Mannschaftsaufstellungen

SC Paderborn - VfL Bochum

Auf Paderborner Seite wurde im Vergleich zum 2:2 vor Wochenfrist dreimal gewechselt: Boeder ersetzte den gelbgesperrten Dräger in der Rechtsverteidigung und spielte von dort aus eine etwas vorsichtigere, dafür aber kombinativer angelegte Rolle als die Freiburger Leihgabe. Zolinski ersetzte Marlon Ritter in der Spitze und spielte von dort aus eher zurückgezogen und im rechten Halbraum unterstützend. Zuletzt wurde die Position von Schwede durch Tekpetey übernommen, der vom rechten Flügel in die Mitte startend sehr unglücklich agierte.

Bei Bochum begann die Mannschaft, die in der Vorwoche 1:0 über Sandhausen siegen konnte ohne personellen Wechsel, wenngleich mit kleineren Umstrukturierungen. Mit diesem Personal ergab sich eine 4-2-3-1 Grundordnung, die aufgrund der Spielerrollen assymetrisch wurde.

Bochumer Offensivspiel zu Beginn

Die stärkste und, um ehrlich zu sein, einzige wirklich starke Offensivphase Bochums ergab sich direkt zu Beginn der Partie. Gegen das gewohnt im 4-1-3-2 agierende Paderborner Angriffspressing wurde nur selten der kurze Pass gesucht. Viel häufiger wurde das Aufbauspiel beim Torwart oder bei einem der beiden Innenverteidiger abgebrochen und stattdessen der lange Ball gespielt.

Bochum 1

Dieser lange Ball erfolgte aber keinesfalls planlos. Bis zur Verletzung des letzteren wurde dafür die Interaktion zwischen dem breit neben Collins gehenden Hinterseer und dem leicht einrückenden Pantovic genutzt. Dieser konnte, nachdem der Ball zumeist vom Schlagersänger Stürmer angenommen werden konnte, entweder direkt durch die Schnittstelle starten oder aber aus einer tieferen, enorm freien Position im Halbraum Tiefenpässe suchen.

Mit der Verletzung des jungen Ex-Bayern nahm der Plan hinter den langen Bällen ab. Gyamerah fehlen schlichtweg die Fähigkeiten um die zweite Dimension dieses Spielzugs, die Kreation aus dem Halbraum gewinnbringend zu übernehmen. Stattdessen blieb er durchgehend breiter, während Hinterseer und Weilandt sich flexibler und unabgestimmter bewegten.

Die Angriffe in der Folge bestanden entweder in Kontern, auf die ich später noch eingehen werde, oder aber in Schnellangriffen durch die offenen Räume vor der Paderborner Abwehr. Diese nämlich rückte im Pressing, vermutlich in Antizipation der Geschwindigkeit der Ingolstädter Offensivreihe, nur unzureichend vor und öffnete damit einen zu großen Raum in der Vertikale, der den Zugriff im Halbraum sowohl für die Paderborner Flügelspieler, als auch für Sechser Gjasula enorm erschwerte. Abermals Hinterseer, aber auch Weilandt und Tesche konnten sich in diesem Raum frei bewegen, sowohl hohe wie auch flache Bälle einfacher verarbeiten.

Bochum 2
Michel läuft an, ohne dabei den rechten IV im Deckungsschatten zu halten. Losilla kann aufdrehen und ihn ins Dribbling schicken. Darüber hinaus sind die großen Lücken vor der Paderborner Abwehr zu erkennen, in die Hinterseer zurückfallen kann.

Eine Möglichkeit, die mit Verlauf der Partie häufiger genutzt wurde, war das Zurückfallen Losillas zwischen oder neben die beiden Innenverteidiger. Seine Verfolgung gestaltete sich schwierig. Da Klement nicht in die höchste Pressinglinie vorrücken wollte oder sollte, entstand eine Überzahl der Bochumer, die diese in Dribblings der Innenverteidiger nutzen konnten.

Wenn der Ball auf einem der Flügel nach vorne gebracht werden konnte, schob Paderborn weit auf diese Seite. Ingolstadt konnte sich daraus über die verhältnismäßig breiten Positionen der ballfernen AV lösen. Diese betätigten sich überhaupt sehr aktiv und erzeugten nach Verlagerungen viel Dynamik.

Bochum 3
72. Minute: Vor dem Ausgleichstreffer kann sich Bochum durchs Paderborner Mittelfeld wurschteln und in Person von Losilla Gjasula aussteigen lassen. Die Abwehr kann aufgrund ihrer tiefen Position nicht sofort helfen, sondern fällt zunächst zurück. Letztendlich rückt Strohdiek in der Rückwärtsbewegung heraus und öffnet in Verbindung mit Hünemeiers Aufheben des Abseits den Passweg auf Kruse.

Das Problem der zu großer Räume vor der Abwehr zog sich durch das Spiel und ermöglichte Bochum gerade in der zweiten Halbzeit viele Torchancen. Im Halbraum angelangt wurde der Steilpass bis zu genau dem Moment herausgezögert, in dem ein Innenverteidiger den Schritt nach vorne machte und damit eine Schnittstelle öffnete, die wiederum vom schnellen Kruse angelaufen wurden. Zum Paderborner Glück versagten diesem meist die Nerven(-zellen), sodass ihm nur die Vorlage zum wohl irregulären 2:2 Ausgleich gelang.

Paderborner Aufbauroulette

Die längsten Spielphasen waren zweifelsohne im Paderborner Ballbesitz zu finden. Dieser wurde direkt beim Torwart begonnen und von diesem aus überaus konstruktiv und mutig gestaltet. Bei Paderborn fächerte die Kette weit auf, einer der beiden Mittelfeldspieler fiel zurück, während der andere sich in einen Halbraum bewegte.

SC 1

Beachtenswert war dabei auch das Verhalten auf Bochumer Seite. Zwar herrschten beim VfL die üblichen Zuordnungen inklusive in Manndeckung vorrückender Mittelfeldspieler vor, allerdings nahmen die Stürmer eine engere Ausgangsposition ein, durch die ein Tiefenpass als Eröffnung erschwert wurde.

Der Ball musste somit zunächst auf einen der Innenverteidiger (in diesem Fall Strohdiek) gespielt werden, woraufhin dieser vom aus der Zentrale kommenden ballnahen Bochumer Stürmer angelaufen wurde, während auch der ballnahe Flügelspieler eine engere Deckung des Außenverteidigers aufnehmen konnte. Durch das Anlaufen auf dem Zentrum wurde der diagonale Pass ins Zentrum, auf den höheren Mittelfeldspieler schwierig.

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Der einzig offene Pass zurück zum Torwart wurde vom ballfernen Stürmer in einem leichten Bogen über den Passweg zu Hünemeier angelaufen, wodurch dieser erschwert wurde. Statt den Ball in dieser Situation nun lang zu schlagen, agierte Zingerle mutig und suchte den tieferen Paderborner Mittelfelspieler, der wiederum, mit einem Gegner in seinem Rücken auf Hünemeier klatschen lassen konnte. Dieser konnte sich final lösen und den Angriff weiter gestalten.

Wenn sich Gjasula zurückfallen ließ, folgte der Paderborner Aufbau sehr strikt dem obigen Muster. Und das absolut verständlich. Lord Helmchen ist körperlich stark und technisch sauber, sodass er den Pass trotz Gegner im Rücken ansetzen kann. Wenn allerdings Klement zurückfiel, gab es verrücktere Lösungen, bei denen ein Außenristpass auf einen der Außenverteidiger gesucht wurde.

Wenn sich Paderborn über die Innenverteidiger lösen konnte, wurde das klassische Muster, das Suchen eines Anspiels auf den im Halbraum, und mit Gegenspieler in seinem Rücken zurückfallenden ballnahen Flügelspielers gesucht.

SC 2
23. Minute: Jimmy verliert den Ball nach Anspiel von Strohdiek gegen Celozzi, der ihn sofort in die Mitte ablegt, wo Tesche die riesige Lücke in Klements Rücken anspielen kann.

Dieser Ablauf, an dieser Stelle bereits häufig kritisiert, zeigte sich gegen die individuell überlegenen Bochumer Außenverteidiger Danilo und Celozzi als besonders kritisch, da diese unmittelbar nach Ballgewinn die zentrale Position ihrer Stürmer für einen Vertikalpass nutzen können. Da die Paderborner Innenverteidiger in der ersten Phase des Aufbauspiels aber nunmal enorm weit stehen, konnten sie in Reaktion auf diesen Pass nicht rechtzeitig schließen und einen einfachen Angriff durchs Zentrum erlauben.

Es ist besonders problematisch, dass ein solcher Vertikalpass in eine hohe Zone, der eigentlich das Risiko eines gefährlichen Ballverlustes in tiefen Zonen aufheben sollte, durch die unpassende eigene Staffelung hochriskant wird.

In der weiteren Folge des Spiel wurden nahm die Anzahl dieser Anspiele ab, wenn sie auch nie ganz ausblieben. Stattdessen suchten die Innenverteidiger, insofern sie sich nach dem obigen Muster weiter öffnen könnten den diagonalen Tiefenpass ins Zentrum, wo Zolinski häufig tief zurückfiel und eher aus dem Zehnerraum heraus agierte.

Wenn ein Anspiel über den Innenverteidiger nicht möglich war, wurden Anspiele der Paderborner Außenverteidiger in den Raum hinter Bochums Außenverteidiger angepeilt. Dafür der eigene Flügelspieler ebenfalls entgegen, während der gegnerische vornehmlich das Zentrum deckte und einen Longlinepass anbot. Sobald der Außenverteidiger gelockt werden konnte, bewegte sich der ballnahe Paderborner Stürmer diagonal in die Tiefe und versuchte den Pass zu erlaufen.

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An diesem Punkt muss man zwei fundamentale Dinge anerkennen. 1. Innenverteidiger sind verdammt schnell und 2. die Außenlinie ist strategisch nicht allzu wertvoll. Was ich damit sagen möchte ist Folgendes: Die Innenverteidiger konnten die Paderborner Stürmer nahezu ausnahmslos ablaufen, aber selbst, wenn sie es nicht taten, war der Stürmer alleine am Flügel, ohne dass viele Mitspieler den Strafraum für eine Flanke (die ihrerseits prinzipiell ineffizient ist) besetzen würden.

Wenn man etwas Positives finden möchte, kann man konstatieren, dass aus diesem Spielzug keine unmittelbare Kontergefahr entstand – immerhin…

Nun soll nicht der Eindruck entstehen, dass das Paderborner Spiel rein formelhaft ablief – Ganz im Gegenteil. Zum wohl ersten Mal in dieser Saison konnte Paderborn einen Gegner mit dem Ball dominieren. Instrumental dafür war, wie immer eigentlich, Philipp Klement.

Nicht nur konnte er durch seine Bewegungen im Halbraum den ballnahen Flügel überladen und somit im Übergang ins höhere Aufbau- oder Angriffsspiel helfen. Auch znetrale Angriffe liefen zumeist über ihn.

Wenn man die Bochumer in ein Mittelfeldpressing drücken konnte, das aus einem 4-4-2 gespielt wurde, indem man raumorientiert verschob und situativ Manndeckungen aufnahm, wenn ein Gegner in der Nähe war. Die Stürmer agierten in diesem System zwar relativ zentral, dennoch ohne jegliche Orientierung auf den Sechser (beziehungsweise den Spieler im Raum zwischen ihnen). Anstatt ihre Positionierung nur um wenige Schritte anzupassen, ließen sie Klement, insofern er zurückfiel, zwischen sich stehen – offener Passweg, offener Raum, keine Absicherung.

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Klement konnte nun ohne großen Druck aufdrehen und den Ball einige Meter treiben. Um die Komik zu vollenden, erzeugten die Bochumer Stürmer auch keinerlei Druck im Rückwärtspressing. Statt ein solches überhaupt zu betreiben, blieben sie weiter vorne stehen und ließen ihr Mittelfeld alleine. Dort wurde ein Problem deutlich, das viele Mannschaften ereilt, die ein enorm unkompaktes Mittelfeldpressing aufziehen.

Wenn Klement durchs Mittelfeld spaziert, muss irgendwann ein Gegner herausrücken, um ihn zu stellen. Sobald das geschieht, sollte die restliche Kette sofort zusammenrücken und die Räume hinter ihm sichern. Bochum tat dies nicht. Stattdessen konnte Klement, sobald er angelaufen wurde, einfach einen Doppelpass mit Gjasula spielen und das Mittelfeld aushebeln.

„Aber Gjasula ist doch gedeckt“ könnte man an dieser Stelle anmerken. Ja, aber eine Mannorientierung, ihrerseits mit zwei, drei Metern initialem Abstand, hat wenige Chancen einen relativ scharfen, nur über sechs oder sieben Meter laufenden Pass abzufangen, geschweige denn Gjasula im Zweikampf zu besiegen (Körper und so).

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Interessant zu sehen war darüber hinaus, dass die Bochumer anders reagierten, wenn der Ball auf der rechten Paderborner Seite, oder in diesem Halbraum war. Dorthin wurde nicht in einer flachen Kette geschoben, sondern mit zurückfallendem rechten Sechser Losilla. Dadurch konnten zwar Anspiele ins Sturmzentrum erschwert werden, die durch das innere Anlaufen der Flügelspieler aber ohnehin geschlossen waren, allerdings wurden zwei Spielzüge weiter vereinfacht.

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Zum einen konnte ein Doppelpass nun noch leichter erreicht werden, da Gjasula tatsächlich unter keinerlei Druck stand. Zum anderen konnte er sich einfach aufdrehen und in den freien ballfernen Halbraum bewegen.

In diesen Situationen hätte ich mir gewünscht, dass Klement sich häufiger direkt im linken Halbraum positioniert hätte. Durch die Charakteristika der Bochumer Verteidigung hätte Gjasula vermutlich ohne Druck im Sechserraum angespielt werden können, nur um den Ball auf Klement weiterzuleiten. Im Spiel fand dieser Spielzug allerdings nur 2 (?) mal statt.

Wir haben mittlerweile sicherlich zur Genüge durchgesprochen, wie der SCP durchs MIttelfeld kam, doch welche Anschlussaktionen folgten danach? Nun ja, Steilpässe. Hohe und flache Steilpässe auf die zentralen oder Flügelstürmer waren die häufigste Option. Doch auch an dieser Stelle konnte der SCP sich nicht wirklich durchsetzen, die individuelle Klasse der Abwehr überwog etwas.

Man konnte Bochum zwar zurückschieben, kam aber fast nur zu Schüssen aus seitlichen Zonen sowie Nachschüssen durch einen, in der hohen Staffelung am gegnerischen Strafraum eingerückten ballfernen Außenverteidiger oder Pirouetten von Tekpetey, der unbedingt an seinen Volleys arbeiten muss…

Fazit

Der Verlauf dieses Artikels spiegelt das Spiel relativ gut wieder. Paderborn kam weitaus besser durch das Bochumer Mittelfeld, spielte sich dabei sehr viele, aber nur wenige wirklich gute Chancen heraus. Bochums Angriffsspiel hingegen führte zu weniger Chancen, die aber allesamt sehr gut waren.

Modelle wie Expected Goals dürften beiden Mannschaften, trotz eines Schussverhältnis von 22:5 ähnlich große Siegchancen zuweisen, und diese Beurteilung kann man rein logisch, und nur in Bezug auf ein einzelnes Spiel, teilen.

Anders sieht es aus, wenn man eine perspektivische Beurteilung der Spielweise vornimmt. Während es auf Bochumer Seite viele kleine Defensiv-Schwächen zu beheben gibt, so sind es auf Paderborner Seite im Wesentlichen nur zwei (geringerer Abstand der Abwehr + geringeres Risiko bei Vertikalpässen im unabgesichertem Aufbau). Ich wüsste genau, in welcher Situation ich als Trainer lieber wäre…