Am 11. Spieltag der Saison hatte Paderborn zum ersten Mal ein wiederholtes Heimspiel. Nachdem es gegen Union Berlin keine Tore zu sehen gab, blieb es auch diesmal bei einem, wenn auch sehr viel torreicheren Remis. Zu Gast dabei war der SV Sandhausen, der in seiner letzten Partie, beim Debüt ihres neuen Trainers Uwe Koschinat einen 4:0 Sieg gegen den FC Ingolstadt feiern konnte.
Meine persönliche Meinung zu Koschinat sollte jedem Leser, der die vergangene Saison verfolgt hat, hinreichend bekannt sein. Fortuna Köln war für mich die, gerade defensiv, taktisch schwächste Mannschaft der 3.Liga. Hanebüchenes Positionsspiel (mit Fünferkette auf gesamter Breite des Feldes) sowie das völlige Fehlen von Absicherung und Rückwärtsverteidigung waren selbst in der Drittklassigkeit einmalig. Ich war entsprechend amüsiert, als er von Sandhausen als neuer Chef angestellt wurde.
Bisher straft mich sein Erfolg Lügen. Im ersten Spiel zeigte man zwar bereits die selben Eigenheiten (unnötige Breite des ballfernen Flügels in der Defensive) wie Fortuna Köln, konnte dank starken Konterspiels aber einen zu hohen, wenngleich verdienten, 4:0 Sieg einfahren. Diese Einschätzung lässt sich gegen Paderborn kopieren. Trotz eines xG von 2,9 : 0,9, trotz 29% Ballbesitz, trotz 58% Passquote konnte man punkten… Wie?
Mannschaftsaufstellungen
Steffen Baumgart beließ es gegen Sandhausen bei den fast schon obligatorischen zwei Personalwechseln bei gleichzeitiger Beibehaltung des Systems. Dieses Mal traf es Jimmy und Zolinski, die für Tekpetey und Gjasula Platz machen mussten. Dadurch, dass Letzterer auf die Sechs zurückkehrte, schob Vasiliadis in die Spitze, wo er gerade in der zweiten Halbzeit ein enorm starkes Spiel machte.
Bei Sandhausen gab es nach dem Ingolstadt-Spiel keinerlei Anlass zur Veränderung, man formierte sich in einem 4-4-2, in dem vor allem Social-Media-Star und isländischer Nationalspieler Gislason auf der rechten Seite sowie die beiden Stürmer Schleusener und Wooten auffällig agierten. Der „spielerische“ Fokus wurde dabei bereits aus der Durchschnittsgröße der Feldspieler klar 185 cm standen zum extremsten Zeitpunkt (nach den beiden Einwechslungen) 180 cm gegenüber.
Passive Ballbesitzdominanz gegen passive Passivität
Wenn 71% der Ballkontakte auf das Konto einer Mannschaft gehen, ist es nur sinnvoll mit der entsprechenden Spielphase anzufangen.

Der SVS agierte aus einem klar definierten, relativ passiven, dafür aber für Koschinat-Verhältnisse sehr kompakten 4-4-2-Mittelfeldpressing. In diesem wurden die Paderborner Innenverteidiger erst kurz vor der Mittellinie und immer nur von einem Stürmer angelaufen. Wenn der die Paderborner IV horizontal verlagerten, wurde mit dem nächsten Laufweg gewartete, bis der Partner wieder in seiner tiefen Position war.
Die Mittelfeldkette verschob währenddessen grundsätzlich raumorientiert, um bei Pässen auf die Außenverteidiger (über Herauspressen des ballnahen Flügelspielers und Mannorientierungen der Stürmer auf ballnahen IV und Sechser) Zugriff zu erzeugen.
Ein interessantes Detail dabei war, dass die Flügelspieler, anders als üblich, erst nach außen rückten, wenn der Pass bereits erfolgte. Die äußeren Schnittstellen des Mittelfelds blieben somit geschlossen, Vertikalpässe in den Halbraum konnten verhindert, auch das Zurückfallen der eingerückten Paderborner Flügel ohne Herausrücken der AV stabil verteidigt werden. (Das nicht-Verfolgen hatte auch zu Folge, dass der Raum hinter den Außenverteidigern anders als in den vergangen Partien nicht durch die Stürmer angelaufen werden konnte)

Der Übergang ins Angriffsdrittel wurde hauptsächlich von Klement gestaltet. Dieser nämlich bewegte sich im Halbraum vor der Mittelfeldkette, zog dort den Druck von Sechser, Flügelspieler und anfangs Stürmer auf sich, um danach vereinzelt in die Spitze, häufiger aber auf die Außenbahn durchzustecken.

Durch das Anlocken des Flügelspielers blieb dem Paderborner Außenverteidiger dort mehr Zeit. Zeit, die neben Pässen ins Zentrum vor allem zu Longlinepässen in den Lauf der aus dem Halbraum nach außen startenden Flügelspieler genutzt wurde.
Diese Durchbrüche auf der Außenbahn wurden von den Außenverteidigern verfolgt, während der ballnahe Sechser die entstehende Schnittstelle in der Abwehrkette auffüllte. Am Strafraum ergab sich somit eine 5-3-2 Struktur, gegen die Paderborn über Flanken nahezu keine Chancen kreieren konnte.
Mit Verlauf des Spiels wurden die Paderborner Angriffe zunehmend zentraler. Anstelle im Halbraum nach außen zu starten, bewegte sich Tekpetey immer häufiger und statischer ins Zentrum. Auch Vasiliadis, der in der ersten halben Stunde meist in der letzten Linie agierte, ließ sich häufiger zurückfallen, um den Ball zentral abzuholen. Sandhausen verengte in Reaktion nicht noch weiter, sondern blieb mit seinen Außenverteidigern in etwas breiterer Position. Paderborn konnte somit über Dribblings und Doppelpässe die Lücken neben den Innenverteidigern attackieren. Alle drei Tore sind beispielhafte Aktionen.
Dies zentralen Ballbesitze vor dem gegnerischen Strafraum wurden bei weitem nicht immer sinnvoll genutzt. Paderborn schloss häufig, mit 14 seiner 27 Schüsse von außerhalb des Strafraums ab. Solche Schüsse haben, gerade gegen einen eng gestaffelt abblockenden Gegner eine enorm geringe Erfolgsquote auf der falschen Seite der 5%. Kurz gesagt: Distanzschüsse sind keine gute Idee.

Trotz dieser Tore und trotz insgesamt 26 Schüssen blieb auch beim wiederholten Scahuen ein Gefühl der Verbesserungswürdigkeit. Paderborn machte viele Fehler im Passspiel, gerade die Verlagerungen zwischen den Innenverteidigern wurden zu lasch und zu häufig in den Rücken gespielt, anstatt steiler gespielt das Andribbeln zu vereinfachen und den Gegner zu schnellerem Verschieben zu zwingen.. Auch im Mittelfeld waren die Pässe häufig ungenau, Gjasulas Auswechslung erklärt sich in besonderem Maße über dessen häufige Abspielfehler.

In der zweiten Halbzeit, nach dem Paderborner Ausgleich, zeigte Sandhausen vereinzelte Phasen des Angriffspressings. Bei Abstößen formierte man sich mit einem aufgerückten Sechser in einer breiten Raute. Durch enge Positionierungen der beiden Stürmer wurden keine Pässe auf die tief kommenden Gjasula und Klement gespielt, der Ball stattdessen weit in Gleichzahlen geschlagen.
Uwes Zweizack
Ballverluste waren weit häufiger unbedrängten Paderborner Abspielfehlern als dem Sandhäuser Pressing geschuldet. Der SV wusste allerdings extrem gut mit den Ballgewinnen im Mittelfeld umzugehen. Der erste Pass wurde unmittelbar auf den meist halblinks zurückfallenden Wooten gespielt, während sich Schleusener links, also auf der durch Drägers durchgehend hohe Position offenen Seite postierte.
Wooten legte den Ball daraufhin entweder auf die dynamisch nachlaufenden Sechser, allen voran Förster oder drehte auf, um den Ball über Strohdiek zu lupfen. Zum Abschluss der Konter wurde der Ball zumeist nach links gespielt, wo Schleusener vom Durchschieben der Abwehr weit offen stand.
Falls der Konter von links auf die rechte Seite verlagert wurde, zog Gislason mit Tempo in die Mitte und damit Collins mit, während Klingmann dynamisch überlief und außen frei war. Die hohe Position der ballfernen Paderborner Flügelspieler und die seitlichen Positionen, die Klement und Gjasula situativ im Gegenpressing einnahmen, öffneten sowohl diagonale Dribblings vor der Abwehr als auch diese ballferne Seite.
Allgemein wussten die Konter durch eine gute Vorbereitung, exzellente Bewegungen der beiden Stürmer und hohe Dynamik der gesamten Mannschaft zu überzeugen. Sandhausen war nach präzisen Anspielen auf Wooten stets gefährlich, diese aber fehlten meist. Im häufigsten Fall spielte Sandhausen Bälle, die bereits im Mittelfeld gewonnen wurde, hoch und unpräzise in den Rücken der Paderborner Abwehr, wo diese überlegen war.
Vikinger-Langbälle
Im kontrollierten Ballbesitz zeigte sich eine vergleichbare Orientierung auf lange Bälle, auch wenn eine interessante und durchaus passende Struktur gewählt wurde. Vor der flachen Abwehrkette und den beiden verhältnismäßig tiefen Sechsern fiel Gislason am rechten Flügel in eine tiefe Position, ungefähr auf Höhe Gjasulas zurück und wurde mit langen Bällen gesucht. Gleichzeitig schoben die verbleibenden Offensivspieler in Mitte und linkem Halbraum und dienten als Ziel für Gislasons Kopfballverlängerungen.
Neben dieser ungewöhnlichen und durchaus effektiven Strategie (Gislason gewann die Mehrzahl seiner Kopfbälle) blieben lange Bälle irgendwohin ein prägnantes, wenn auch weit weniger effektives und in der Zweiten Bundesliga gewöhnlicheres Mittel.
Obwohl Sandhausen keinerlei Interesse an flachem Aufbauspiel zeigte, resultierte der finale Ausgleichstreffer aus einem der besten Pässe, die ich je gesehen habe. Jansen kam, im Mittelfeld freigespielt, kurz vor der Mittellinie an den Ball und spielte mit dem Außenrist einen perfekt gewichteten 40-Meter Diagonalpass neben Dräger und in den Lauf von Vollmann, der nur noch in den Rückraum zu Wooten legen musste.
Überhaupt stellte sich die Rückraumsicherung als eine der prävalentesten Paderborner Problemzonen dar. Wann immer Sandhausen der seitliche Durchbruch gelang, konnten die diesen Raum, in den sich Wooten intelligent zurückfallen ließ, anspielen.
Fazit
Alles in allem muss ich zugeben, dass dieser Artikel sich negativer liest, als es das Spiel rechtfertigt. Paderborn war über die gesamte Spielzeit überlegen, gab ein besseres Ergebnis durch kleine Fehler im Spielaufbau, nicht gelöschte Gefahrenherde (freier Raum hinter Dräger) und dämliche Entscheidungsfindung im Angriff (Distanzschüsse) leichtfertig aus der Hand.
Sandhausen hingegen wird sehr zufrieden mit der Anstellung Uwe Koschinats sein. Zwei Spiele, 4 Punkte und 7 Tore lesen sich für einen Abstiegskandidaten sehr gut. Der Sandhäuser Kader ist überraschenderweise sehr stark, wird von Goalimpact als einer der besten der Liga bewertet. Vor allem die Offensive um Schleusener und Wooten zeigt sich auf absolutem Topniveau. Eine ambitioniertere Spielweise wäre dem SV und der Liga entsprechend zu wünschen, auch wenn aktueller Erfolg und Koschinat gegen eine solche sprechen.