Am 12. Spieltag der Saison war der SC Paderborn beim MSV Duisburg zu Gast. Gegen die formstarken Zebras entwickelte sich ein, zumindest in der ersten Halbzeit interessantes Spiel, in dem Paderborn zwar mehr Spielanteile, der MSV aber Oliveira Souza hatte. Sein Traumtor in der 24. Minute stellte gleichzeitig den Höhepunkt der ersten Halbzeit und den Anfang vom spielerischen Ende der Partie dar.
Mit der Führung im Rücken wurde Duisburg zunehmend passiv im Aufbauspiel und überließ Paderborn den Ball. Während man in der ersten Hälfte noch Angriffe über die linke Seite kreieren konnte, verlagerte man sich zusehends auf lange Bälle und isolierte Konter. Man kam so zwar zu keiner wirklichen Chance, traf aber erneut. Nach einem zu kurz geklärten Freistoß nahm Tashchy den Ball aus 20 Metern direkt, und traf über Zingerle ins Tor.
Eine solche Niederlage kann aus Paderborner Perspektive schon einmal vorkommen. Der Fakt, dass man lediglich 0,6 xG kassierte, spricht für eine gute Abwehrleistung. Enttäuschend hingegen ist abermals die Offensive, die im dritten Spiel in Folge ohne Tor blieb und mit einem xG von 1,1 nicht wirklich herausragte. Für ein Spiel, in dem man 61% Ballbesitz hat, für ein Spiel, indem man 20 Mal aufs Tor schießt, ist dies einfach zu wenig.
Mannschaftsaufstellungen
Auf Duisburger Seite gab es ein 4-1-3-2 zu sehen, in dem eine Seite auffällig stark besetzt war. Angefangen bei Gerrit Nauber, der in der ersten Halbzeit mehrere starke, linienbrechende Pässe spielte, fortgesetzt bei Kevin Wolze, der nicht nur im Timing seiner Pressingläufe, sondern auch in seiner offensiven Positionsfindung extrem stark ist, bis hin zu Dribblingmonster Souza stellte die linke Offensivseite den absoluten Fokus dar.
Paderborn agierte dagegen wie üblich, ebenfalls aus einer 4-1-3-2 Staffelung. Im Vergleich zum Pokalspiel ergaben sich vier Änderungen, Zingerle ersetzte Ratajczak, Strohdiek Hünemeier, Schwede Jimmy, und, am schmerzhaftesten für das Paderborner Spiel, Ritter ersetzte den angeschlagenen Klement.
One-Trick-Pony
Die Zebras sollten im Verlauf der ersten Hälfte noch eine Waffe an Positionsspiel auspacken, begannen aber, anscheinend um Paderborn einzuschläfern, aus einer komplett uninteressanten 4-1-1-4 Staffelung, bei der sich Wiegel rechts auf einer Linie mit den Innenverteidigern hielt, während auch Wolze nur leicht hochschob. Aus dieser Staffelung wurden lange Bälle in die Spitze geschlagen. Wie gesagt, extrem langweilig.
So langweilig sogar, dass ich beim ersten Gucken des Spiels mental abschaltete und das Duisburger Ballbesitzspiel in den mittlerweile überquellenden, und in grau gehaltenen „Schnell vergessen“-Ordner steckte. Die Duisburger Verwirrtaktik hatte vollen Erfolg.
Anders als bei den meisten Gegnern der Liga folgte dem uninteressant schlechten Aufbauspiel nämlich nicht noch uninteressanteres, noch schlechteres Aufbauspiel, sondern zumindest ein enorm interessantes, einzigartiges Element in einer ansonsten akzeptablen Spielphase. Bevor sich nun jeder fragt, worüber der seltsame Mann redet, kläre ich lieber auf.
Beim Element, das ich meine, handelt es sich um das Positionsspiel linken Flügel. Dieses hatte ein ausgewiesenes Ziel, nämlich den hoch und breit postierten Souza freizuspielen und ins 1 gegen X Dribbling zu schicken. Damit dies möglich wurde, bewegte sich Wolze auf Höhe der Paderborner Mittelfeldkette eng in den Halbraum und zwang somit Tekpetey eine ebenfalls engere Ausgangsposition einzunehmen. Zusätzlich ließ Fröder sich zwischen die Innenverteidiger fallen und schuf damit eine Überzahl gegen die beiden Paderborner Spitzen. Diese Überzahl ist nichts ungewöhnliches, zwang Tekpetey nach Verlagerungen aber, auf den nun breiteren linken Innenverteidiger Nauber herauszurücken.
Jeder, der ein gutes Vorstellungsvermögen (oder gemeinerweise zum Bild vorgescrollt) hat wird das Problem schnell erkennen. Tekpetey rückt auf Nauber heraus, kann aufgrund seiner engeren Position aber nicht den Flügel abdecken, wo sich Souza etwas fallen ließ, und den Ball erhalten konnte. In der Folge dieses Anspiels konnte er entweder aufdrehen und den auf sich allein gestellten Dräger mobben, oder aber mit Wolze kombinieren, der sich, nun im Rücken des Mittelfelds, schnell gelöst hat und abhängig von der Richtung Souzas Bewegung eine komplementäre Option schuf (Einrücken Souza – Überlaufen, Breitbleiben – Halbraum).
Duisburg konnte so Außen durchbrechen, oder aber die abermals (kaum verwunderlich bei nur einem absichernden Spieler) offene ballferne Paderborner Mitte bespielen. Das Tor, dass Souza erzielte, kann man zwar als beispielhaft für dessen Qualitäten, nicht aber für dieses taktische Element ansehen, da es aus einem Konter und Steilpass von Wolze fiel. Manchmal ist Analyse eine Tragödie. Eine Mannschaft zeigt ein (in Zahlen 1) auffälliges Element und trifft natürlich anders.
Der Tragödie wurde weiterhin dadurch geholfen, dass Duisburg ansonsten kaum Gutes zeigte. Klar, Nauber spielte ein paar schöne linienbrechende Pässe, Verhoek ließ sich dahin passend zurückfallen und Wolze zeigte ein paar weitere Momente individueller Brillianz im Positionsspiel. Viel häufiger aber schlug Duisburg weite Bälle aus der Innenverteidigung, verlor Bälle im Sechserraum und ließ die ballfernen Flügelspieler für Flanken einrücken. Nach der Führung und spätestens zur zweiten Halbzeit gab es bei den Zebras im Wesentlichen nur noch hohe Bälle vor die Paderborner Abwehr, sowie isolierte Angriffe über die beiden Stürmer zu sehen.
Konter Paderborn
Ein wichtiges Spielmoment hatte zumindest einen losen Bezug zum Duisburger Ballbesitz. Es handelt sich dabei um Paderborner Konter, die vor allem in Folge Duisburger Standardsituationen gespielt wurden. Sobald ein eine solche geklärt wurde, setzten die Paderborner Offensiven in extremen Tempo nach, sodass sie quasi in Überzahl den Ball gewinnen konnten.
In der Folge der Ballgewinne überbrückte zumeist Tekpetey viel Raum, während seine Kollegen… ja was eigentlich? Ich habe keine Ahnung, was während der Paderborner Konter passiert ist. Die sehr nahen und tiefen Kameraeinstellungen bei JEDEM KONTER sorgten dafür, dass ich weder die gegnerische Staffelung noch die Paderborner Laufwege, noch den Weltuntergang hätte sehen können.
Wenn jemand, der im Stadion war, mir diesbezüglich Abhilfe schaffen möchte, kann er sich gerne melden.
Ballbesitz Paderborn
Glücklicherweise gab es in Paderborner Ballbesitz weitere Kameraeinstellungen zu sehen. Unglücklicherweise gab es aber auch Paderborner Ballbesitz zu sehen.
Der Grund dafür ist einfach gefunden – Philipp Klement fehlte. An dieser Stelle könnte man die Analyse eigentlich beenden. In den vergangenen Wochen beschrieb ich immer wieder, wie Paderborn hauptsächlich durch Klements Gnade den Übergang ins Angriffsspiel gestalten und in weiterer Folge zu Chancen kommen kann. Aber erst dann, wenn Klement fehlt, kann man die Schwere seines Einflusses gänzlich nachvollziehen.
Paderborn baute gegen Duisburgs standardmäßiges, wenn auch unterdurchschnittlich kompaktes, 4-4-2 Mittelfeldpressing aus einer 2-4-4 Staffelung auf, in der Gjasula zwischen Zentrum und rechtem Halbraum pendelte, während Ritter zumeist halblinks blieb, Die Außenverteidiger fächerten auf Höhe der beiden auf, die Sturmreihe agierte grundsätzlich eng.
Das Zentrum blieb in der Spielentwicklung von randständiger Bedeutung. Ritter ist zwar ein guter Fußballer, hat seine Stärken aber klar in dynamischen, tororientierten und weiträumigen Aktionen. Klements Rolle mit vielen Drehungen auf engem Raum, Anlocken der Gegner und Auflösen des Drucks, kann er damit nicht einnehmen. Vielmehr als kein Faktor behinderte die Mittelfeldbesetzung das Paderborner Spiel.
In der Anfangsphase bewegten sich Gjasula und Ritter früh auf die jeweilige Seite, sobald ein Außenverteidiger den Ball erhielt, und verengten diese somit. Dies war insbesondere kritisch, da die Spielgestaltung über die Außenverteidiger erfolgte.
Ein Anspiel auf diese diente nämlich als Signal für die Laufwege der Offensivkräfte. Diese sind das hauptsächliche Element des Angriffsspiels und damit vielseitig ausgeprägt. Neben dem einfachen Zurückfallen des ballnahen Flügelspielers gab es viele gegenläufige Bewegungen der Stürmer zu sehen. Ergänzt wurden diese von Situationen, in denen sowohl Flügelspieler als auch ballferner Stürmer diagonal nach außen liefen, um die Abwehr nach hinten zu drücken und die zentrale Schnittstelle anspielbar zu machen. (Allesamt wiederkehrende Momente, die in den vergangenen Wochen diskutiert, weswegen ich von detaillierter Beschreibung absehen möchte)
Ein letztes, in diesem Spiel erstmalig auffälliges Element ist ein breites Ausweichen des Flügelstürmers, während die restlichen Offensiven eng verbleiben. Der Außenverteidiger wird dabei mitgezogen, wodurch ein Bespielen des Halbraums nach Doppelpass und Unterlaufen des Außenverteidigers möglich würde.
Des Weiteren wurde die asymmetrische Rollenverteilung zwischen den Außenverteidigern in höheren Zonen verstärkt genutzt. So bewegte sich Dräger auf rechts früher und höher hinter die Duisburger Mittelfeldkette und konnte dort durch Longlinepässe von Schonlau (erfolgsversprechend) oder Diagonalpässe von Strohdiek (weniger erfolgsversprechend) gefunden und ins Dribbling gebracht werden. Da Souza klar in der Mittelfeldlinie blieb, konnte Dräger einige Male isoliert ins Dribbling gegen Wolze gehen. Collins blieb gleichzeitig tiefer und etwas eingerückt, sodass sich auf Paderborner Seite 3-2-5-Strukturen ergaben.
(In der zweiten Hälfte tauschten Souza und Engin die Seiten. Letzterer spielte in vollständiger Orientierung auf Dräger entsprechend tiefer und häufig in der letzten Linie.)
Von den Halbpositionen dieser Staffelung konnten zwar Pässe hinter das Duisburger Mittelfeld gefunden werden, diese aber erreichten immer nur Spieler, die sich in Bewegung lösten. Duisburg nämlich war darauf eingestellt, dass Paderborn zumeist über die Außenverteidiger angreift. Wenn diese den Ball hatten, wurde die grundsätzlich etwas lasch positionsorientierte Formation ballnah zur Manndeckung. Außen- und Innenverteidiger folgten ihrem Gegenspieler, während auch die Sechser Nähe suchten.
Von Spielen und Kriegen
Der SCP hat kein taktisches Offensivproblem. Es existieren viele verschiedene, individuell gute Abläufe und Muster, viele Wege um mit Dynamik hinter die Abwehrkette zu kommen.
Individuell muss man etwas stärker differenzieren. Sven Michel fehlt sehr, Zolinski ist zwar stark im Bewegungsspiel, nicht aber am Ball. Tekpetey dribbelt überragend, trifft aber unfassbar schlechte Entscheidungen. Gueye ist ballsicher und körperlich stark, aber wenig überraschend und explosiv in seinen Läufen. Nichtsdestotrotz müssten die Qualitäten ausreichen, keine Mannschaft ist perfekt, Paderborn ist gut genug und zeigte das in dieser Saison.
Was ich sehe ist ein strategisches Problem, das in allen Mustern und damit der Spielweise inhärent enthalten ist.
Die Ambivalenz der Dynamik
Paderborn spielt seine Angriffe immer mit einer hohen Dynamik aus. An und für sich ist dies eine sehr positive Eigenschaft. Nur mit Bewegung, nur mit Tempo kann man Lücken in engen gegnerischen Abwehrblöcken aufreißen und bespielen. Das Problem von Dynamik ist ein anderes. Tempo in eine Richtung schränkt die Fähigkeit zur Richtungsänderung ein.
Gut zu erkennen ist dies am wiederkehrenden Leitmotiv der zurückfallenden Flügelspieler. Da diese mit einem hohen Tempo auf das eigene Tor zulaufen, können sie nur kaum auf der Stelle aufdrehen, sondern müssen zunächst abbremsen, was dem Gegner wiederum erlaubt, Zugriff zu erzeugen.
Wenn man Tempo aufnimmt, sollte man sich dessen bewusst sein, das damit eine gewisse Trägheit verbunden ist. Wenn Gueye diagonal auf den Flügel sprintet wird er nur kaum direkt in die Mitte aufdrehen können.
Folglich sollten Sprints und solche Angriffsmuster, die Sprints zu ihrem Erfolg benötigen, die Richtung dieser beachten. Es macht einen erheblichen mechanischen Unterschied, einen Ball statisch oder aber im Sprint an der Seitenlinie zu erhalten.
Paderborn tut dies nicht. Viele Angriffsmuster sehen Bewegungen der Stürmer nach außen vor, um hinter die Außenverteidiger zu kommen, die Bewegungsrichtung wird anscheinend vergessen.
Auch Anspiele hinter das gegnerische Mittelfeld finden, wenn nicht gerade Klement dort steht, in Laufwege statt. Meistens solche, die vom Tor weg zeigen, Aufdrehen und Nutzen der reduzierten Absicherung damit verzögern und erschweren.
Raum bedeutet im Fußball Möglichkeit, Zeit bedeutet Leichtigkeit.
Man sollte sich genaue Gedanken machen, wie man dynamische Vorteile erschaffen kann, während man sinnvolle Bewegungsrichtungen der eigenen Spieler beibehält. Diese Fähigkeit ist ein gewichtiges Element für Guardiolas Erfolg. Die breiten Außenspieler bieten den Vorteil, Laufwege zwar aus schlechteren, weil äußeren, Positionen dafür aber mit einer passenden Bewegungsrichtung, nach innen, zu starten.
Die nach außen gerichteten Laufwege nach Herausziehen der Außenverteidiger ließ sich durch einen inversen Ablauf ersetzen, in dem die Innenverteidiger gelockt werden. Das frontale Zurückfallen der Stürmer ließ sich vortreffflich durch horizontale Bewegungen der Flügelspieler nach innen ersetzen. Das Zurückfallen der Flügel dürfte sich als das nutzen lassen, was es erlaubt, nämlich um einen Wandpass ins Mittelfeld zu erlauben.
Es geht nicht darum, Dynamik loszuwerden, sondern lediglich darum, diese nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern auch aufgrund ihrer eigenen Charakteristika zu bewerten und dadurch in geordnete Bahnen zu leiten.
(Dieses Thema soll irgendwann noch Bestandteil eines ausführlichen Theorie-Artikels und dort in größerer Tiefe erabeitet werden.)
Fazit
Paderborn macht ein defensiv grundsolides Spiel, wird allerdings durch zwei Sonntagsschüsse bezwungen. Duisburg zeigt offensiv ein sehr interessantest Muster, bleibt ansonsten aber farblos. Paderborn spielt sich viele kleine, kaum aber gute Chancen heraus.
Letztendlich ist der Duisburger Sieg etwas glücklich. Keins der beiden Tore folgte aus einer vielversprechenden Situation, sondern nur aus momentaner Brillianz. Die größte Chance führte nicht zum Abschluss, da sie fälschlicherweise abgepfiffen wurde. Paderborns Bemühungen sollten eigentlich zu einem Tor reichen. Es ist aber offensichtlich, das die Offensive schwächelt.
Diese Schwäche hat Gründe, dynamische Gründe.