Jimmys Show

Am 14. Spieltag der Saison empfing der 1. FC Heidenheim den SC Paderborn. Ein Duell zweier Teams aus dem Tabellenmittelfeld, ein Duell, das beim Gast lediglich als Vorspiel zum Ostwestfalenderby dienen kann. Man könnte bei diesen Vorzeichen ein langweiliges, durchschnittliches Zweitligaspiel erwarten – wenn man den SCP nicht kennt.

Ganz im Gegenteil, es entwickelte sich über die volle Spielzeit ein enorm offenes Spiel, das keinerlei Kompaktheit aufwies, sondern von Offensive und schnellen Kombinationen durchs offene Mittelfeld dominiert wurde. Nach einer wahnsinnigen, ausgeglichenen ersten Halbzeit schraubten beide Teams das Risiko zurück, bis der SCP in der Schlussphase drei mal netzen konnte.

Mannschaftsaufstellungen

1. FC Heidenheim - SC Paderborn

Auf Seiten der Gastgeber wurde lediglich ein Wechsel vorgenommen, Multhaupt kam zu seinem ersten Startelfeinsatz in Liga 2 und ersetzte dabei Andrich auf dem Flügel. Als Grundformation wählte Urgestein Frank Schmidt ein enorm flexibles System, das auf dem Papier zwar als 4-2-3-1 ausgewiesen wurde, sich aber nur in den seltensten Fällen als solches zeigte.

Beim Paderborner Gast gab es zwei Veränderungen zu vermelden. Vasiliadis ersetzte Klaus Gjasula im defensiven Mittelfeld, während der letztjährige Topscorer Sven Michel nach langer Verletzung in die Startelf zurückkehrte und dabei den angeschlagenen Babacar Gueye ersetzte. In der irrespektiv des Personals immer gewählten 4-1-3-2 Grundordnung fielen zudem Zolinkis Rolle als zurückfallender rechter Stürmer und die Besetzung der Innenverteidigung, in der Hünemeier und Schonlau trotz vierer Gegentore in der vergangenen Partie den Vorzug vor Kapitän Strohdiek erhielten, auf.

Breite Flexibilität

Nachdem Paderborn vor der Länderspielpause auf die durchgeknallten Kieler Störche traf, schien auch Heidenheim vom Paderborner Wahnsinn angesteckt zu sein.

Im Ballbesitz wurde der Spielvortrag über die Innenverteidiger fokussiert. Diese fächerten breit in die Halbräume auf und zirkulierten den Ball untereinander. Diese Zirkulation war nicht darauf ausgelegt, Möglichkeiten zum raumgreifenden Andribbeln zu schaffen, sondern sollte vor allem und in erster Linie Paderborner Spieler in die erste Linie locken, um die Kompaktheit im Mittelfeld zu senken und bessere Voraussetzungen für folgende lange Bälle zu haben.

Während die Innenverteidiger breit schoben, wurden sie vom tiefen Sechser Dorsch unterstützt, der sich wechselnd, und ohne klar erkennbare Trigger vor ihnen hielt beziehungsweise zwischen sie abkippte.

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Die Außenverteidiger blieben währenddessen nicht breit, die üblichen Außenverteidigerräume wurden im Aufbauspiel geradezu aktiv ignoriert, sondern bewegten sich invers in die Halbräume. Dort wurden sie zwar selten erreicht, erschwerten aber die Orientierung der Paderborner Außenstürmer, wenn diese in Unterstützung ihrer Sturmpartner auf die breiten Innenverteidiger in den situativ entstehenden Dreierketten herausrücken mussten.

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Die Besetzung der Breite wurde stattdessen von den Flügelspielern Multhaupt und Schnatterer übernommen, die sich bei Druck auf den Innenverteidiger weit zurückfallen ließen. Die übrigen Offensiven formierten sich währenddessen in Ballungen vor der letzten Linie, welche häufig rechtsseitig und damit ballfern des aktiveren linken Innenverteidigers Beermann waren.

Um zusammenzufassen: Paderborn presste mit zwei Spielern in der vordersten Linie, konnte die Breite bei Zurückfallen Dorschs aber nicht abdecken, sodass einer der Flügelspieler, zumeist Tekpetey auf den Innenverteidiger herausrücken musste. Da der Außenverteidiger eingerückt agierte, konnte Tekpetey diesen nicht über einen äußeren Bogenlauf abdecken, stattdessen mussten die Sechser verschieben, um Zugriff auf den eingerückten Außenverteidiger herzustellen, sodass sich Räume vor der Abwehr ergaben.

Heidenheims Strategie in Ballbesitz erwies sich als passend, da man Paderborns Kompaktheit reduzieren, die Spieler auseinanderziehen konnte. Die folgenden langen Bälle konnten mit passenden gegenläufigen Bewegungen und einer hohen Präsenz im Zehnerraum, welche durch das abermals frühe Fallen der Abwehrkette verstärkt wurde, verarbeitet werden – insofern der in der Kopfballabwehr absolut überragende Hünemeier den Ball nicht direkt herausköpfte.

Nachdem Paderborn den Ballbesitz zunehmend dominierte, stellt man angefangen mit dem zweiten Gegentor auf breitere Positionen der Außenverteidiger um. Die nun entstehende doppelte Flügelbesetzung wurde durch dynamisches Unterlaufen nach Longlinepass der nun stärker eingebundenen Außenverteidiger oder Steilpässe auf nach außen rochierende Stürmer ausgespielt. In Vorbereitung beider dieser Muster fielen die Flügelstürmer aus einer hohen und breiten Position entgegen.

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Diese Position erforderte den Außenverteidiger, auf einer weiten Strecke zu verfolgen, wodurch die Wege im Rückwärtsverteidigen, falls er überspielt werden konnte, lang wurden. Wenn Heidenheim so hinter den Außenverteidiger kommen konnte, rückte der ballnahe Paderborner Innenverteidiger weit auf die Seite (die Sechser waren aufgrund ihrer hohen Position zu weit weg) um Druck zu erzeugen.

Dadurch ging Paderborner Präsenz im Fünfmeterraum verloren, wo man, beispielweise vor dem Gegentor, sogar in Unterzahl verteidigen musste. Bei beiden Toren kann man auf Drägers Entscheidung die nahe Option zu verteidigen blicken, bei zwei Gegenspielern ist diese Entscheidung aber vollständig nachvollziehbar. Kritischer, weil einfacher zu korrigieren, ist die zu weit ballnah verschobene Position Schonlaus, der als ballferner Innenverteidiger auf die seitliche ballnahe Kante des Fünfers rückt. Diese Position nimmt in der Strafraumverteidigung aus einem drei Mann starken Kettenrest normalerweise der ballnahe IV ein.

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Man kann aus diesen Ausführungen erkennen, dass die Probleme der Paderborner Defensivausrichtung sich gegenseitig bedingen. Die hohe Abwehrkette erlaubt Heidenheim ein schnelles Spiel bis an die Grundlinie, die geringe Kompaktheit verhindert ein Auffüllen der Kette und sorgt in Verbindung mit der Ballorientierung Schonlaus und Hünemeiers für eine Unterzahl am langen Pfosten.

Die Flügelangriffe erwiesen sich zwar als effektiver, vor allem da man der Kopfballdominanz Hünemeiers aus dem Weg gehen konnten, erlaubten Paderborn aber auch mehr Ballgewinne im Pressing auf die breiten Außenverteidiger und reduzierten Heidenheims Ballbesitzanteil und Spielkontrolle signifikant.

Neben diesen Abläufen und Zusammenhängen soll Marc Schnatterer, seit der Antike Schlüsselspieler beim 1.FCH hervorgehoben werden. In seiner enorm breiten Position war er zwar zu wenig eingebunden, streute aber einige perfekte Diagonalflugbälle auf den rechten Flügel ein.

Entschieden Fehlentschieden

Abermals konnte Paderborn aus Kontern nach gegnerischen Standards Torgefahr erzeugen. Aus einer 1-4-3-2 Raumdeckung bei gegnerischen Ecken, die Heidenheim mit enormer quantitativer Präsenz und Orientierung auf den ersten Pfosten beging konnte man mehrmalig vielversprechend kontern.

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Wenn der Ball aus dem Strafraum geklärt wurde, war es zumeist Tekpetey, der den Ball als vormals höchster Spieler nach vorne tragen konnte. Dabei erhielt er Unterstützung von den in der zweiten und dritten Reihe postierten Mitspielen, Michel, Zolinski und Klement.

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In der obigen Sitaution hat Paderborn infolge der ersten abgewehrten Ecke des Spiels eine zentrale 4v2 Überzahl am gegnerischen Strafraum. Dort angekommen spielt Tekpetey einen unfassbar schlechten Steilpass auf Zolinski, der somit nicht zum Tor gehen, sondern nur eine letztendlich geklärte Flanke ansetzen kann.

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Tekpetey ist sicherlich der frustrierendste Spieler dieser Paderborner Mannschaft. Zwar ist er schnell, ballsicher und unvorhersehbar, trifft dafür aber mit schöner Regelmäßigkeit vollkommen hanebüchene Entscheidungen. Zu diesen gehören späte, unpräzise Abspiele oder, im häufigsten Fall, Schüsse aus 25 Metern während ein Mitspieler weit offen steht.

Jimmys Show

Ein anderer Spieler überzeugte nicht nur im Konterspiel, sondern auch in Phasen geordneten Ballbesitzes – Christopher „Jimmy“ Antwi-Adjei, der bisher noch nicht in der zweiten Liga angekommen schien, lieferte ein wahnsinniges Spiel ab. In der 52. Minute verlängerte Michel den Ball nach einem Einwurf in die Mitte, wo Jimmy eingerückt stand. Anstelle ihn direkt anzunehmen, drehte Jimmy zunächst auf und ließ den Ball an sich vorbeispringen – bis Marnon Busch herauspresste. Mit seinem ersten Ballkontakt lupfte er den Ball über den Heidenheimer Rechtsverteidiger und setzte zum Solo über die linke Seite an.

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Kurz vor dem Strafraum schloss Griesbeck die innere Bahn, Jimmy machte einen Haken, wodurch Busch seinen Kollegen unterstützen konnte. Jimmy brach nicht ab, sondern beobachtete Busch, um die Lücke zwischen den beiden Heidenheimern zu attackieren. Noch aus der Drehung lupfte er den Ball über Griesbecks ausgestrecktes linkes Bein und sprang über die Beine der beiden Verteidiger zwischen deren Oberkörpern durch.

(Übrigens ist dieses Dribbling von Jimmy ein perfektes Beispiel für das erfolgreichen Ausspielen eines Unterzahldribblings. Zunächst versetzt er beide Gegner in eine Dynamik nach links, um in der Folge die Lücke zwischen beiden rechtwinklig und somit in Minimierung deren gegenseitiger Absicherung zu attackieren.)

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An der Strafraumkante setzte Jimmy einen angeschnittenen Schuss auf die lange Ecke an. Der Ball verließ seinen Fuß, vollführte einen perfekten Bogen, und verpasste den Winkel um wenige Zentimeter.

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Jimmy verpasste das perfekte Tor, nach einem Solo und zwei überragenden individuellen Dribblingmomenten nur denkbar knapp. Doch sein Spiel definierte sich nicht über dieses vergebene Traumtor, schließlich hatte er bereits die Paderborner Führung mit einem nur kaum weniger beeindruckenden Distanzschuss erzielen können.

Man würde dem Spiel leider nicht gerecht werden, wenn man sich einzig und allein auf Jimmys Brillianz fokussieren würde. Gleichzeitig lieferte die Partei in Paderborner Ballbesitz keine vergleichbaren taktischen Glanzlichter.

Während der SCP Abstöße wie üblich aus einer 2-4-4-Staffelung ausführte, spielte Heidenheim klar mannorientiert dagegen. Die Stürmer agierten hoch um Zugriff auf die Innenverteidiger zu haben, die Flügelspiele schoben breit und somit eng auf die Paderborner Außenverteidiger heraus. Die von Zingerle fokussierten Zonen folgten nachvollziehbar aus dem Heidenheimer Abwehrverhalten. Wenn Klement im defensiven Mittelfeld nicht verfolgt wurde, wurde er angespielt und löste teilweise grotesk aber mittlerweile wohl erwartungsgemäß jegliches Pressing auf.

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Wenn dies nicht möglich war, fiel Vasiliadis neben ihn, schuf damit entweder eine freie Anspielstation, oder zog einen der Heidenheimer Sechser heraus, wodurch der Raum vor der Abwehr mit hohen Flugbällen attackiert werden konnte. Dort fanden sich zwar nicht wirklich die idealen Spielertypen zur Verarbeitung dieser Bälle, die bloße Tiefe der Abwehr ermöglichte allerdings weites Zurückfallen und Distanzieren durch Michel und Zolinski.

Falls Paderborn der Übergang in höhere Zonen gelang, verschob Heidenheim in ein 4-4-2, welches phasenweise absurd unkompakt gespielt wurde. Folglich ergaben sich Lücken, die Schonlau mit Laserpässen auf den weit zurückfallenden und teils im Zehnerraum verbleibenden Zolinski attackieren konnte.

Auch Pässe auf die Paderborner Außenverteidiger konnten durch das mangelhafte Nachschieben der Mittelfeldkette zu einfachen Diagonalpässen vor die Abwehr fortgeführt werden.

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Auch das restliche Arsenal Paderborner Mittel in die Tiefe zu kommen, wurde ausgeschöpft. Weiträumiges Kreuzen und Rochieren der Stürmer hinter die gegnerischen Außenverteidiger wurde häufig eingesetzt, durch das Zurückfallen der ballnahen Flügelspieler vorbereitet und durch das mannorientierte und unkompakt nachsichernde Abwehrverhalten Heidenheims effizient.

Wenn Paderborn Ballbesitz am gegnerischen Strafraum etablieren konnte, bewegte sich Klement weiträumig unterstützend in den Halbraum, wobei der linke bevorzugt wurde, während Tekpetey sich halbrechts häufiger als Verlagerungsoption tief und gleichzeitig die rechte Bahn für Drägers Offensivläufe offen hielt.

Während Tekpeteys Aktionen aus dem Rückraum, wie bereits beschrieben, nur wenig erfolgreich waren, konnte Dräger mit zunehmender Spielzeit mehr erfolgreiche Dribblings zur Grundlinie ansetzen. Eine seiner Flanken fand Michel beim 1:3, dieser schloss aus kurzem Winkel außerordentlich, nicht übermäßig schön, aber selten, ab.

Heidenheims Pressing war abgesehen von der Aggressivität durch Manndeckungen in der ersten Phase schwach. Oftmals musste Griesbeck defensiv vor der gesamten Abwehr herpendeln, um die entblößten Flügel zu unterstützen, Paderborn konnte sich auch in der zweiten Halbzeit, in der Heidenheim die Kompaktheit etwas erhöhte, problemlos durchkombinieren.

Fazit

In einem offenen Spiel zeigen beide Teams eklantante Defensivschwächen. Der SC Paderborn triumphiert schlussendlich aufgrund eines etwas stabileren Pressings und vielseitigeren Angriffsspiels, während Heidenheim seine Ansätze im Aufbauspiel zunächst vergibt und später gar ganz aufgibt.

Und, nun ja, Paderborn hat bessere Einzelspieler. Jimmy zeigte sich in dieser Partie als unspielbar, Dräger war trotz unglücklicher Abwehrleistung eine ständige Gefahr am rechten Flügel. Tekpetey machte unzählige Abspielfehler und Fehlentscheidungen, nur um zum Spielende aufzudrehen und neben einigen starken Dribblings auch eine Vorlage zu liefern. Vasiliadis traf trotz teilweise zu breiter Orientierung in der Defensive zwei mal. Schonlau spielt unter Bedrängnis unfassbare Laserpässe und Hünemeier ist ein Innenverteidiger im Körper eines Akrobaten.

Muss man dabei noch etwas zu Philipp Klement sagen? Der Dirigent wird mit jeder Partie dominanter, ist die Ausgeburt von Pressingresistenz und Passkreativität… und der beste menschliche Freistoßschütze der Welt.

Paderborn kann nach vier sieglosen Spielen voller Selbstbewusstsein in das Ostwestfalenderby gehen – Ein Sieg ist wahrscheinlich, ein Spektakel ist gewiss.