Urlaube haben Lücken. Während ich freie Stunden zu Hause über Serien und Videospiele füllen kann, werden diese im Urlaub immer mit Lesen gefüllt. Mit Büchern, Zeitschriften, Nachrichten und Webseiten. 2014, auf Sizilien, aktualisierte ich den Spox-Feed sekündlich, um neue Gerüchte, Artikel oder Videos zu sehen. Es war mir egal, worum es ging. Egal welche Sportart, egal welches Thema, egal welches Team. Von der Langeweile getrieben saugte ich es auf.
In einem Artikel, an dessen Inhalt ich mich kaum noch erinnern kann, ging es um Spielverlagerung, einen Taktikblog, deren tägliche Artikel sich während der Fußball-WM steigender Beliebtheit erfreut hatten. Obwohl ich ein riesiges Interesse an Fußball hatte, im Verein spielte, eine Dauerkarte beim SCP hatte und auch im Urlaub täglich kickte, weckte der Artikel meine Aufmerksamkeit nicht. Schnell wechselte ich auf den nächsten Artikel und schenkte den detaillierten Spielanalysen keinen Blick.
Es dauerte ein Jahr, bis zum nächsten Urlaub, bis zu den nächsten Freistunden, bis ich mich an die Seite erinnerte. In einem Hotelzimmer in Österreich gelangweilt suchte ich nach der Seite, an deren Namen ich mich ohne Sicherheit, aber überraschenderweise doch korrekt erinnern konnte – und wurde weggeblasen.
Begeistert vom Detailgrad der Artikel und fasziniert von der eigentümlichen, als neuer Leser nur schwer verständlichen Sprache las und las und las ich alles, was ich finden konnte. die Theorie der Halbräume, Berichte über Pep Guardiolas Bayern, Lobeshymnen auf einzelne Spieler und Mannschaften und nicht zuletzt Trainingstheorie. In Retrospektive gesehen verstand ich damals nichts. Während der Inhalt meinen Kopf an der einen Seite betrat und an der anderen herausfiel, blieb die Faszination.
Eine Faszination, die mich in einem Jahr voller Verletzungen zu dem Gedanken trieb, Trainer zu werden. Im Frühjahr 2016 begann ich als einer der jüngsten Teilnehmer mit der C-Lizenz, ohne vorher gecoacht zu haben. Trotz des kalten Wassers, das diese Ausbildung für mein wenig selbstsicheres früheres Ich darstellte und trotz des Empfindens vieler Lehrinhalte als sinnlos, beendete ich den Schein und wurde im kommenden Sommer Trainer einer U13.
Ich hatte keine Ahnung, was ich tue. Obwohl ich viel gelesen hatte, verstand ich nichts von Trainingsdesign und Fußballtaktik. Meine Mannschaft hatte eine Struktur, eine der wenigen Sachen, die ich tatsächlich mitgenommen hatte, und sollte flach herausspielen. Um dies umzusetzen, griff ich auf ein Repertoire an verschiedenen isolierten Pass- und Technikformen sowie auf unterirdisch gecoachte Rondos zurück.
Es wurde langsam besser. Aus vereinzelten Spielformen wurden immer mehr, aus einem Unverständnis von Taktik erwuchs durch Beobachtung meines Teams die Bedeutung des Andribbelns, des vertikalen Spiels und der Spielfeldmitte. Am Ende der ersten Saison war ich kein guter Trainer, ich hatte tatsächlich recht wenig Spaß an der Tätigkeit, sah meinen Einfluss als zu beschränkt und meine Fähigkeiten als zu gering an.
Nach dem Abitur hatte ich Unmengen an Freizeit. Freizeit, die zu Langeweile führte, und Langeweile, die zu Lesen führte. Mein Verständnis wuchs. Nicht linear, nicht wie ein Haus, auf dessen Fundament die Wände und schlussendlich das Dach folgte, sondern eher wie Baum. Aus einzelnen Ästen des Verständnis wuchsen kleiner Ausleger. Manche Äste wurden abgehackt, andere verwahrlosten. Ich kann diese Entwicklung nun schwerlich nachvollziehen, der Baum meines Wissens hat keine Altersringe.
Im kommenden Jahr entschied ich mich in Erwartung beträchlichen Stress‘ in der Uni dagegen, eine eigene Mannschaft zu übernehmen, sondern agierte als Co-Trainer bei der U19. Es war eine Entscheidung, die ich nach einigen Wochen bereuen sollte. Anstatt vom erfahrenen Cheftrainer etwas zu lernen, sah ich mich mit einer Karikatur meines eigenen, vergangenen Coachings konfrontiert. Isolierte Passformen, isolierte Läufe, extreme Trainingsintensität zu Saisonbeginn, nur um nach vielen Verletzungen zurückzuschrauben, antiquierte, disfunktionale Taktik.
Doch meine Entscheidung war kein Fehler. Der Blick auf schlechtes Training zwang mein kritisches Bewusstsein dazu, Fehler und Alternativen zu finden. Schlechte Ergebnisse brachten mich dazu, die Unzulänglichkeiten der Taktik zu verstehen und Lösungen zu suchen. Die höhere Altersklasse voller Spieler, mit denen ich selbst zusammengespielt hatte, ermöglichte mir komplexere Anweisungen zu geben, ohne Gedanken an deren Verpackung zu verschwenden, während das gleiche Alter mir den Spaß am Coaching zurückgab.
Im selben Jahr half ich bei verschiedensten Mannschaften aus. Im Besonderen bestritt und gewann ich ein Turnier mit der damaligen U17 rein über Defensivkompaktheit und Konter. Während ich aus diesem Erfolg glücklicherweise keinen Schritt zum Mourinho-Stil folgerte gab er mir großes Selbstbewusstsein, meine Meinung aktiver nach außen zu vertreten und zeigte mir gleichzeitig meine Entwicklung auf.
Dieses Selbstbewusstsein ist ein wichtiger Punkt für mich. Als enorm introvertierte Person traute ich mich nach Erstellung meines Twitter-Accounts (um Updates über neue SV-Artikel zu bekommen) nicht einmal, zu kommentieren. Nur gelegentlich schrieb ich irgendetwas. Das änderte sich erst, als Karsten Jahn von halbfeldflanke.de , einem Schalker Taktikblog mir zurückfolgte. Im Gespräch wurde ich gefragt, ob ich denn einen Blog hätte…
Ich war verblüfft von der Frage, hatte ich in den vorherigen Wochen und in Anbetracht der überragenden Saison des SC Paderborn häufiger darüber nachgedacht, einen solchen zu schreiben und in diesem Kontext sogar eine, genauer gesagt diese, Domain gekauft.
Die Frage trieb mich um, bis ich an einem Sonntagabend, während ich mit einem Freund ein mittelmäßiges Footballspiel schaute, entschied, eine Analyse der Paderborner 2:0-Niederlage gegen Wehen Wiesbaden zu erstellen. Ich schaute das Spiel in der Wiederholung, notierte einige mir auffällige Elemente des Spiels und verpackte sie mit einigen Grafiken in einen Blogeintrag.
Am 3. Dezember 2017 startete Paderball.com ohne Ankündigung oder Einleitung, ohne Kenntnis der Paderborner Fanszene und auf geringem inhaltlichen Niveau.
Als ich am nächsten Morgen aufstand, war mein gesamtes Handy voller Mitteilungen über Likes, Retweets und Kommentare. Stephan und die gesamte restliche Truppe des PaderCast hatten meinen Beitrag gelesen und interessiert aufgenommen. Innerhalb weniger Stunden hatte der Artikel über 200 Klicks gesammelt.
Dieses Erlebnis trieb mich weiter. Mit jedem Spiel schrieb ich eine Analyse, mit fast jeder Analyse stieg die Leserschaft und mit jeder Analyse mein Wissen. Die Artikel wurden länger, detaillierter, und vor allem… mehr.
Es gibt einige Texte, die dabei einen besonderen Stellenwert für mich einnehmen.
Die Teamanalyse des FC Magdeburg, die Vorschau auf das Pokal-Viertelfinale gegen den FC Bayern, die Parodie von Narrativen im Fußball und die Metaanalyse eines Kommentators.
Doch allen voran ist die Analyse des Pokalachtelfinals gegen Ingolstadt zu nennen. Nicht nur das Ergebnis war Grund zu Freude, nach einem starken Paderborner Spiel gab es einige Highlight-Videos auf Twitter zu sehen. Ein solches, das eine Aufbauszene zeigte, wurde von Eddie Schmidt getweetet. Als Reaktion darauf postete ich einen Link zu meiner Seite und geriet ins Gespräch mit ihm. Aus diesem Gespräch über Fußball, Analyse und Coaching wuchs eine Freundschaft, die mich im Oktober bis nach Kanada reisen ließ.
Als ich vor wenigen Wochen einen meiner alten Kommentare zu einem Bild von David Goigitzers Mannschaft sah, musste ich mit Verblüffen feststellen, dass ich diesen Platz kenne – schließlich war ich da.
Ich habe zu Beginn dieses Blogs gehofft, nicht aber im Entferntesten erwartet, so viel Wissen zu sammeln und tolle Menschen kennenzulernen. Ich habe an vielen Stellen gestanden und war über Klickzahlen oder meine persönliche Entwicklung enttäuscht – bis ich zurückgesehen habe.
Wann immer ich denke, auf der Stelle zu treten, schaue ich zurück und sehe, wie weit ich gekommen bin. Wann immer ich denke, alles zu wissen, schaue ich ein Jahr zurück – und sehe, wie man sich irren kann.
Nun, ein Jahr, 365 Tage, 42 Artikel und 74115 Zeichen später bin ich dankbar für das, was ich erleben durfte. Dankbar für die Bekanntschaften, die Gespräche, die Podcasts und Reisen.
Und doch soll dies nicht nur ein Rückblick sein, sondern das Versprechen auf eine bessere Zukunft, auf tiefergehende Analysen und neue Kontakte, auf persönliche Entwicklung und weitere Highlights. Ich freue mich darauf!
4 Kommentare zu „Danke!“
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