15. Spieltag. Das Ostwestfalenderby war heiß erwartet, aufgeladen mit Abneigung der Fanlager und Vereine, und durch die sportliche Situation der Arminia auch sportlich von gesteigerter Relevanz. Das Spiel konnte diesen Erwartungen nicht gerecht werden. Zwar wurde es intensiv und hart geführt, zwar fielen vier Tore, zwar gab es eine erneute Paderborner Aufholjagd, dennoch wurden die Geschehnisse von einer phasenweise spielerischen Bankrotterklärung beider Teams und einer unwürdigen Schiedsrichterleistung überschattet.
Schiedsrichter und Taktik
In den bisherigen 43 Blogeinträgen habe ich nur ein einziges Mal explizit und dediziert Kritik an einem Schiedsrichter geäußert. Damals war es die letzte Heimniederlage Paderborn, die Partie gegen Erfurt, welche durch zwei Platzverweise vor der Halbzeit vom Schiedsrichtergespann entschieden wurde.
Rote Karten sind ein offensichtlicher Einschnitt in den Verlauf einer Partie, aber bei weitem nicht der einzige Einfluss, den Schiedsrichter auf den taktischen Verlauf von Partien haben. Unterschiedliche Linien, auch bei neutraler Entscheidungsfindung betreffen Teams unterschiedlich stark. Kleinliche Entscheidungen bei Luftduellen benachteiligen hohe Bälle, Großzügige Entscheidungen benachteiligen Teams, die Spielfortschritt durch Dribblings erzielen. Die Beurteilung über Effektivität einer Taktik beinhaltet häufig die Linie des Schiedsrichters.
Abermals sei betont, dass es keine offensichtlich spielentscheidenden Fehler gab, wenngleich erschreckende Regelfehler sich häuften, vielmehr schadete die kleinliche Linie bei Offensivzweikämpfen Paderborn in erheblichem Maße. Als eine Mannschaft, die stark von ihrem Tempo, ihrem Vorverteidigen, aber auch vom Auflösen unsauberer Aktionen in die Tiefe lebt, ist ein Schiedsrichter, der jedes Umfallen eines im Gegenpressing gefangenen Verteidigers abpfeift, ein Todesurteil.
Mannschaftsaufstellungen
Bevor wir diesen Punkt vertiefen, sollten erst einmal die Formalia geklärt werden. Steffen Baumgart verzichtete nach dem 5:1-Sieg in Heidenheim auf Wechsel und vertraute dem selben Personal wie vor Wochenfrist. Formativ ergab sich natürlich ein 4-1-3-2, in welchem Klement als spielmachender Sechser agierte.
Auf Bielefelder Seite nahm Jeff Saibene trotz Niederlagenserie nur zwei Wechsel vor. Kapitän Börner und Brunner wurden durch Krankheit und Sperre zum Aussetzen gezwungen und von Christiansen und Voglsammer ersetzt. Aus diesem Personal ergab sich eine 4-2-4-Staffelung, in welcher neben der individuell starken Verteidigung vor allem Staude und Klos herausstachen.
Lang Klos
Der Bielefelder Plan im Ballbesitz ist schnell erklärt. Man formierte sich in einem 4-2-4, oder durch Aufrücken Schütz‘ situativ in einem 4-1-5 und spielte lange Bälle auf Klos. Flaches Aufbauspiel wurde dabei neben wenigen Momenten in der zweiten Halbzeit vollständig ignoriert. Dennoch waren die Trigger für das Spielen langer Bälle anders als beispielsweise bei Heidenheim, dem letztwöchigen Paderborner Gegner, der lange Bälle erst nach vormaligem Herauslocken der Paderborner Flügel spielte, freundlich gesagt unklar, ehrlich gesagt nicht vorhanden.

Manchmal wurden lange Bälle gespielt, wenn zwei Stürmer pressten, manchmal wenn einer presste, manchmal wenn es Optionen zum Horizontalpass gab, manchmal wenn es diese nicht gab, immer nur, wenn der Ball bei Ortega war. (Der wiederum hat eine unfassbare Reichweite bis zum gegnerischen Strafraum. In einer konstruktiven Anlage könnte man damit Isolationsangriffe schaffen… ok, ich sehe das Problem)

Entsprechend konnten die langen Schläge nicht außergewöhnlich vorbereitet werden. So behielten die Außenverteidiger ihre Aufbauposition bei und stellten keinen Faktor in der Verarbeitung der langen Bälle dar. Signifikant zeigten sich lediglich die Bewegungen der Bielefelder Flügel. Während beide eine eingerückte Ausgangsposition einnahmen, besetzte Staude dynamisch die letzte Linie im linken Halbraum, während Weihrauch eng ins Zentrum rückte und dort Ablagen verarbeiten oder zweite Bälle gewinnen sollte.
Diese gewann Arminia gerade in der Anfangsphase ab und an mal, vor allem dann, wenn Paderborns Abwehr zu früh zurückfiel und den Sechserraum somit entblößte oder wenn weit und hoch zurückprallende Bälle im Kopfball von den physisch überlegenden Bielefelder Sechser gewonnen werden konnten.

Paderborn hatte abermals Probleme mit einer zu tiefen Abwehrkette, die Zugriff im Sechserraum erschwerte und kassierte abermals drei (???) Angriffe, bei denen Klement und Vasiliadis die ballferne Mitte durch breites Herausrücken im Pressing öffneten und dynamische Angriffe nach Verlagerungen ermöglichten.

Verlorene Wetten
Kommen wir zum spannenden Teil der Partie. Im Besonderen zu einem Aspekt, den ich nicht verstehe – Bielefelds Angriffspressing.
Bielefeld setzte dem Paderborner Aufbau, in dem das Zentrum felxibel von Vasiliadis und Klement besetzt wurde, während Zolinski als rechter Stürmer zurückfallend agierte, ein 2-4-4 entgegen. Eine Staffelung, die ich nicht nur noch nie gesehen habe, sondern auch eine solche, die normalerweise, unter Ausnahme der Überschrift, absolut keinen Sinn ergibt.
In dem 2-4-4 (es macht mich fertig, das ausgeschrieben zu sehen) postierten die vorderen vier Spieler sich am Strafraum. Die Flügel rückten nach Pass auf die Innenverteidiger heruas, während die Stürmer grundsätzlich Pässe ins Zentrum verhindern und nach Rückpässen auf Zingerle auf diesen doppeln sollten. Die Außenverteidiger, ebenfalls vorgerückt, orientierten sich währenddessen auf ihre hohen Paderborner Pendants.
Wenn Zingerle ein Chipball auf die Außen gelingt, könnte Paderborn grotesk einfach zu Chancen kommen. Ein Beispiel: Collins erhält den Ball und passt sofort auf Klement, der schickt Jimmy im Rücken des auf Collins herauspressenden AV. Ein anderes Beispiel: Collins verlängert in Jimmys Lauf. Noch eins: Paderborn spielt ins Mittelfeld und greift mit 8v6-Überzahl an. Kurz gesagt: einfach.
Anscheinend sogar zu einfach. An dieser Stelle kommt das große Aber ins Spiel. Paderborn kam nicht zu Chancen. Ganz im Gegenteil gelangen Bielefeld Ballgewinne in guter Quote. Die Gründe dafür lagen im Detail.
Zuerst einmal hatte Zingerle Probleme im Passspiel. Technische Probleme dabei, die Außenverteidiger auch aus statischen Situationen mit Chips zu erreichen. Viele seiner Bälle verfehlten ihr Ziel und landeten im Aus. Hinzu kommt Zingerles Eindeutigkeit im Passspiel. Wann immer er einen Abstoß ausführt, ist aufgrund seines umfangreichen Anlaufes sofort klar, auf welche Seite gechippt wird, hevorpressender AV und zurückpressender Flügel können sich sofort auf diesen Ball einstellen. Zuletzt hat Zingerle einen Rechtsfokus, welcher lange Bälle vor allem auf Dräger und damit in ein Mismatch gegen den signifikant größeren Hartherz brachte.
Auch die Fortführung der Aktionen gestaltete sich als schwierig, da der Horizontalpass auf die offenen Vasiliadis und Klement zugunsten diagonaler Dribblings ignoriert wurde. Diese Dribblings, vor allem von Seiten Drägers, zeigten sich zwar als interessant, weil selten, waren durch die Aufgabe der Breitenbesetzung auf der rechten Seite, wo auch Tekpetey stärker einrückend agierte und die daraus folgende Unmöglichkeit, den Raum hinter Hartherz aus einer förderlichen Richtung (von außen) zu attackieren, aber letztendlich ineffektiv. Darüber hinaus zeigte sich Prietl überragend im Herausschieben auf den Flügel, wo er das Tempo von Tekpetey und Dräger ohne Probleme aufnehmen konnte.
Wenn das Angriffspressing nicht über die Außenverteidiger aufgelöst wurde, sondern der Abstoß auf die Innenverteidiger erfolgte, sollten diese durch Hervorschieben der Flügelspieler im äußeren Bogen zum Rückpass auf Zingerle und dieser wiederum durch intensiveres Anlaufen von Klos auf seine starke, aber berechenbare, rechte Seite geleitet werden.
Natürlich gab es nicht nur Phasen des Bielefelder Angriffspressings. Im Verlauf der zweiten Hälfte kam es häufiger zu Momenten des Mittelfeldpressings, in welchem Bielefeld sich im Grundsatz treu blieb. Anstelle die Flügelspieler hinter der Doppelspitze so zu positionieren, dass diese die Paderborner Außenverteidiger aus einer tieferen Position den Sechserraum abdeckend anlaufen können, zockten sie, fast schon auf einer Höhe mit den Stürmern, auf Ballgewinne und Konter, während Anspiele auf die Außenverteidiger im Rückwärtspressing verteidigt wurden.
Vor der Innenverteidigung agierten Vasiliadis als Spieler hinter der ersten Linie und Klement neben die Innenverteidiger herauskippend flexibel. Im Allgemeinen zeigte sich Paderborn dann stärker, wenn Klement sich im Zentrum positionierte und das Herauspressen eines Sechsers auf sich einlud, während Vasiliadis höher und mit Ball vertikaler passgebend agieren konnte.
In der Entwicklung der Angriffe gab es verschiedenste Muster zu sehen, die in ihrer Vielzahl nicht wiederzugeben wären. Prominent brachten sich allerdings Drägers inverse Läufe und Isolationsdribblings, Klements unterstützendes Ausweichen, Zolinkis verbindungsgebendes Zurückfallen, Vasiliadis‘ Balltreiben und vertikale Wandpassspiel und Tekpeteys Dribblings ein. Was gerade in Strafraumnähe fehlte, waren Läufe in den ballnahen Halbraum. Wenn man Außenverteidiger und Flügel auf die Seite ziehen konnten, gab es dort keine Dynamik, die zu Cutbacks fortgeführt hätte werden können.
Schlussendlich konnte Paderborn vielversprechende Angriffe auch daher nicht zuende führen, da man unbedrängte Fehler im Passspiel oder genauer gesagt in der Gewichtung desselbigen machte. Tekpetey spielt fast schon aus Gewohnheit fast immer zu steil, Zolinski passte oftmals zu leicht, wodurch Dynamikvorteile und Räume schlechter auszunutzen waren.
Zolinskis zu leichte Pässe führen uns an den Anfang, an die Schiedrichterleistung zurück. Durch zu kurz geratene Verlegerungen oder Steilpässe konnten die Bielefelder Verteidiger in der Zweikampf kommen und, auch isoliert, kurzzeitig ihren Körper zwischen Gegner und Ball schieben. Ein Außenverteidiger, der mit dem Rücken zum gegnerischen Tor steht, ist aber ein leichtes Pressingopfer, Angriffe noch lange nicht vorbei. Außer natürlich, ein Schiedsrichter erlaubt es den Verteidigern beim kleinsten Kontakt auf den Ball zu fallen und einen Freistoß zu erhalten.
Anstoß 3
Nicht spielentscheidend, aber kurios und gleichzeitig illustrativ für die Leistung des Schiedrichtergespanns ist der Fakt, dass jeder der Bielefelder Anstöße regelwidrig war. Bielefeld eröffnete das Spiel nämlich mit langen Bällen auf die halblinks vorsprintenden Stürmer. Diese aber bewegten sich zu früh, nämlich vor dem spielstartenden ersten Ballkontakt in die Paderborner Hälfte.
Während dies beim ersten und dritten Bielefelder Anstoß keine Folge hatte, führte der zweite zu einem Eingreifen des vierten Offiziellen und Wiederholung des Anstoßes. Eine übertriebene Reaktion? – wohl kaum.
Der Schiedsrichter hatte nichts gemerkt.
Fazit
Paderborn zeigt aus Gründen offensiv eines seiner schwächsten Saisonspiele und konnte nur durch zwei überragende Pässe Philipp Klements zu Torgefahr kommen. Bielefeld blieb über weite Strecken ebenfalls ungefährlich und im Angriffsspiel zu eindimensional, wenngleich das verrückte Angriffspressing überraschenderweise effektiv war.