Der Fußballgott würfelt

Lang ist es her. Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit der SC Paderborn seine letzte Heimniederlage hinnehmen musste. Eine Niederlage gegen keinen geringeren als RW Erfurt. Ich stehe somit erst zum zweiten Mal vor der Analyse einer Niederlage im eigenen Stadion.

Es ist nur passend, dass die unfassbare Paderborner Serie nach schlechter Chancenverwertung und einer schwachen zweiten Hälfte vom auf den Kiez zurückgekehrten Fußballgott Alex Meier besiegelt wurde.

Das Spiel, gerade die erste Halbzeit, bot dennoch viel Gutes, insbesondere verschiedenste Details im Paderborner Aufbauspiel und korrespondierend dem Pressing St. Paulis.

Mannschaftsaufstellungen

SC Paderborn - FC Sankt Pauli

Auf Paderborner Seite gab es im Vergleich zur Vorwoche zwei Änderungen. Zum einen ersetzte Strohdiek Schonlau, wodurch Hünemeier auf der rechten Abwehrseite stärker ins Aufbauspiel eingebunden war. Zum anderen kam Gueye für Zolinski als Stoßstürmer in die Formation. Unterdessen wurde das Mittelfeld in weiterem Abhandensein von Klement erneut von Ritter und Vasiliadis, der medial zuletzt in die erste Bundesliga hochgelobt wurde, ersetzt.

Die Kiezkicker agierten dagegen in einer 4-2-3-1 Formation, welche sich in der Defensive zu einem vertikal kompakten 4-4-2 umformte. Vor Himmelmann ergab sich eine Viererkette, in der Buballa hauptsächlich durch häufige und lange Behandlungspausen, Avevor als in der Defensive häufig zu frontal und statisch agierender Innenverteidiger aber auch als erster Aufbauspieler agierte, während Kalla sich im Laufe der zweiten Hälfte im Pressing hervortat. Und Hoogma, unauffällig aber bester Abwehrspieler.

Vor der Kette befand sich mit Knoll ein offensiv statischer, defensiv dafür umso umtriebiger Sechser zentral, während Zehir stärker im rechten Halbraum, zumeist leicht höher als Knoll, situativ aber auch neben die Abwehr kippend, agierte. Weiter vorne befindet sich das häufig nur unzureichend zum Strahlen gebrachte eigentliche Prunkstück der Mannschaft von Markus Kauczinski, die Dreierreihe hinter Alex Meier. In dieser nämlich befindet sich neben Sobota, der für einen Flügelspieler mit herausragendem Raumgefühl gesegnet ist, noch Miyaichi, der wahrscheinlich schnellste Spieler der Liga und, nun ja, ein norwegisches Juwel.

Mats Moller Daehli ist ohne Frage einer der talentiertesten Spieler der Liga. Schnell, trickreich, mit gutem Timing für Tiefenläufe und dennoch zu wenig und, wenn doch, häufig in schwierig aufzulösenden Situationen mit erzwungener Dynamik, genutzt im hektischen Angriffsspiel der Paulianer.

Schrauben an der Mauer

Paderborner Ballbesitz war bei weitem die vorherrschende Phase der Partie. Der SCP hatte über beide Halbzeiten einen konstanten Ballbesitzanteil von 63%, wenngleich dieser in der ersten Halbzeit ruhiger und kontrollierter ausgespielt wurde, als in der hektischeren und in letzter Instanz mit dem Mute der Verzweiflung ausgespielten zweiten Hälfte.

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Die Grundsituation, welche sich aus praktischem Ausbleiben eines Hamburger Angriffspressings (situativ, aus dem Spiel über Herauspressen der Flügelspieler nach Verlagerungen) wie auch dem hohen Paderborner Pressing ergab, wurde aus Paderborner 2-4-2-2-Strukturen gegen ein 4-4-2-Mittelfeldpressing bestritten.

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In diesem Pressing schob Daelhi rechts neben Alex Meier in eine Doppelspitze, die verhältnismäßig passiv anlaufend recht breite Ausgangspositionen einnahm. Anders als im bei anderen Teams gesehenen pendelnden 2-0/1-1 Pressing, in dem der ballnahe Stürmer den Innenverteidiger aufnimmt, während der ballferne Stürmer mannorientiert den Sechserraum verstellt, konnten die Hamburger Stürmer ohne großartige Pressingdynamik schnell auf Anspiele ins Zentrum reagieren. Phasenweise wirkte es geradezu so, als ob Pässe in diesen Raum zu einer Pressingfalle, bei der das Viereck aus Stürmern und Sechsern eng zusammenzieht, genutzt werden sollten.

Hinter den beiden Stürmern agierten die Flügelspieler lose auf die Paderborner Außenverteidiger mannorientiert, schoben bei rückfallenden Bewegungen dieser neben die beiden Stürmer oder begaben sich, gerade im tieferen Pressing und bei Hochschieben der Paderborner AV, in breitere Positionen vor den eigenen Außenverteidigern. In Verbindung mit den Rollen Drägers und Collins wurde das Pressing so leicht asymmetrisch, da Sobota in Verfolgung der Freiburger Leihgabe tendenziell tiefer gedrückt wurde.

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Im Zentrum ging die bedeutendste, weil vielseitigste Rolle im Pressing an die Doppelsechs aus Knoll und Zehir. Diese mussten sowohl Anspiele auf die hinter der Doppelspitze umtriebigen Paderborner Sechser zuschieben, insbesondere rückte der ballnahe Sechser heraus, während der ballferne tiefer und zentraler fiel, sondern auch die Passwege zur Paderborner Offensivreihe schließen.

Diese Doppelaufgabe ist dabei keineswegs eine Übertreibung. Die übrigen vier Spieler in den ersten beiden Linien erfüllten zwar ihren Job, agierten damit aber lediglich nach Anspiel auf die Außenverteidiger, Momenten, in welchen der ballnahe Flügel Druck machte, während der ballnahe Stürmer einen Innenverteidiger aufnahm und der Ballferne einrückend Rückpässe auf einen im Halbraum befindlichen Sechser (siehe letzte Woche) verhindern sollte.

Wenn der Ball aber bei den Innenverteidigern war und in Fortsetzung der Angriffe zentral blieb, lag die Abwehrlast auf den Schultern der Doppelsechs. Die Paderborner Innenverteidiger vermieden Anspiele ins Zentrum, in die anscheinende Pressingfalle, sondern spielten häufiger auf die seitlich hinter einem Stürmer freiwerdenden Sechser. Dieser wurde allerdings, wie oben beschrieben, sofort vom Sechser gestellt, sodass ein Rückpass gespielt wurde. Nach kurzer Zeit gingen die Innenverteidiger zu aktiverem Andribbeln über, bei dem sie nicht wirklich gestört, von den Stürmern aber auf außen geleitet wurden.

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das Aufbauspiel wurde immer wieder über die rechte Seite, über ein Andribbeln von Hünemeier gestaltet. Er war, trotzdessen dass er mit Daehli einen dynamischeren Gegner hatte im Vorteil gegenüber Strohdiek, da er über seinen starken rechten Fuß auf außen geleitet bessere Passwinkel hatte und daraus weniger vorhersehbar in seinem Passspiel war. Der Spielvortrag über die rechte Seite erfolgte dabei anfangs über das Zurückfallen Prögers zwischen Knoll und Sobota. Während letzterer sich zunächst auf Dräger orientierte, erfolgte der Zugriff des ersteren durch seine Orientierung auf die Zentrumsicherung ebenfalls zu spät. Dennoch bewegten sich beide nach einem Anspiel auf Pröger, sodass nach dessen Ablage auf Vasiliadis eine komfortable Schnittstelle im Zentrum aufging. Vasiliadis konnte so direkt tief auf einen der Stürmer spielen.

An dieser Stelle kann man zum ersten Mal den Einfluss der individuellen Leistungen auf den Erfolg dieses Spielzugs untersuchen. Die Pässe von Hünemeier waren zwar scharf, hoppelten durch den schlechten Rasen aber erheblich, sodass die Genauigkeit abnahm und die erwünschten Ablagen mit dem ersten Kontakt schwierig wurden. Zudem ist Vasiliadis kein Spieler, der ein gutes statisches One-Touch Spiel hat, die Pässe zwischen die Linien wurden so häufig ungenau. Zuletzt zeigte sich auch Gueye, als häufigster Zielspieler der Anspiele, recht langsam in der Verarbeitung. Der erste Kontakt hoppelt, sodass ein Innenverteidiger Druck machen kann und die nächste Aktion weiterhin erschwert.

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Der spezielle Spielzug, beziehungsweise die anfängliche Häufigkeit dieses Spielzugs führten dazu, dass Knoll zunächst früher eine Orientierung auf Pröger aufnahm, um im Verlaufe der Halbzeit schon anzulaufen, bevor der Pass gespielt wurde. Durch diese Bewegung öffnete sich das Zentrum nun natürlich schon zwei Pässe früher. Hünemeier erkannte dies und spielte einige verdeckte Pässe durch die zentrale Schnittstelle, wohin sich Michel zurückfallen ließ. Er hatte im Vergleich zu Gueye nicht nur eine bessere Körperhaltung, sondern auch weniger Druck, sodass er leicht aufdrehen und mit Gueye in die Tiefe kombinieren konnte.

Es gab allerdings ein großes Problem, wenn Paderborn auf die Art und Weise in die Tiefe vordringen konnte. Da Pröger zurückgefallen war, fehlte er als Anspielstation an der letzten Linie, sondern rückte, genauso wie die Sechser in nun überfüllten Zwischenlinienraum nach. Darüber hinaus agierte auch Tekpetey am linken Flügel zunächst breiter und etwas tiefer, und zog gemäß seinem Naturell eher ins Zentrum, als in die Tiefe zu starten. Auch wenn ich nie gedacht hätte, diesen Satz schreiben zu müssen, Paderborn hatte nicht genügend tiefe Läufe.

Da St. Pauli in der Folge recht schnell auf den Ballführenden kollabierte, stand neben improvisierten Kombinationen häufig nur der Rückweg in die bekannte Ausgangssituation oder der Pass auf den Flügel, die Hoffnung auf ein gutes Dribbling offen.

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Überhaupt wurden Pässe auf Dräger recht häufig genutzt. Auch Strohdiek spielte diese einige Male im tieferen Ballbesitz, auch wenn Drägers Gegenspieler recht eng und er ziemlich isoliert war. Ansonsten gab es von der linken Seite ein anderes Angriffsmuster, das vielversprechender wirkte.

Wenn Strohdiek andribbeln konnte, schufen Michel im Halbraum und Gueye herüberschiebend zentrale Optionen, während Tekpetey und Pröger eher breit blieben. Durch die Bewegungen auf die Ballseite wurden aber auch die Innenverteidiger herübergelockt, sodass sich ballfern eine Lücke zwischen Hoogma und Buballa ergab. Vasiliadis erkannte diese Lücke und lief früh in den offenen Raum an, konnte aber leider nicht erreicht werden.

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Überdies konnte Tekpetey in seiner breiten Position am Flügel häufig als dritter Mann nach linienbrechendem Pass auf Michel gefunden werden, aber kaum Akzente setzen.

In der zweiten Halbzeit wurde St. Pauli im Pressing auf die Außenbahnen deutlich aggressiver. Insbesondere verfolgten die Außenverteidiger die Paderborner Flügel nun klarer, während auch die Außenverteidiger in Ballbesitz enger gestellt und situativ in einen Zweikampf verwickelt wurden. An dieser Stelle lässt sich anführen, was ich bereits zum Magdeburg-Spiel schrieb. Außenverteidiger können isolierte Aufbauszenen zwar auflösen, dies ist aber nicht stabil. Collins, in der Vorwoche unter Druck noch überragend, konnte diesen (gegen einen zugegebenermaßen schnelleren Gegenspieler) nur kaum auflösen, sondern verlor einige Male den Ball.

Eine solche Szene, zu Beginn der zweiten Halbzeit erlaubte Alex Meier die aller Alexmeierigste Chance die es nur geben kann. Miyaichi bricht auf der Außenbahn durch und spielt von der Grundlinie eine flache Hereingabe zum im Rückraum offenen Stürmer, der mit dem Innenrist einen gut platzierten Schuss auf die rechte unter Ecke ansetzt. Jedem Frankfurter dürfte diese Szene wie ein Deja-Vu vorkommen, gefühlt hat Meier mehr solcher Tore als Schritte in diesem Spiel. Aber gut, er traf nicht, Zingerle hielt.

Alex Meiers Gefahr schien gebannt und dann, ja dann, verlor Hünemeier bei einem Freistoß in Strafraumnähe ein Kopfballduell gegen Alex Meier, der sich klar aufstützte (keine Kritik, muss man in dem Alter auch erstmal hinkriegen), sodass er doch treffen konnte.

Gääääähn…

Es ist folgerichtig, dass St. Pauli seine größten Chancen aus Umschaltmomenten, Freistößen und SOGAR FUCKING EINWÜRFEN hatte, aus dem Spielaufbau ging nämlich nix.

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Grundsätzlich postierte man sich in einem 2-1-3-1-3, in dem die Innenverteidiger die erste Linie besetzten, Knoll vor ihnen als Sechser agierte und Zehir halbrechts vor das Paderborner Mittelfeld, auf die gleiche Höhe wie die Außenverteidiger schob. Daehli agierte tendenziell hinter den beiden schnell an die letzte Linie gehenden Flügelspielern und Alex Meier.

Dieser Alex Meier, immer wieder dieser Alex Meier. Himmelmann spielte den ersten Pass zumeist auf Avevor, der früh leicht andribbelte, unter Druck von Michel aber schnell zum langen Ball zurückgriff. Zugegebenermaßen konnte Paderborn alle Optionen zustellen, indem Tekpetey auf Kalla schob, während Gueye mannorientiert bei Knoll blieb. Auch Zehir konnte im zentralen Mittelfeld einfach und ohne größere strukturelle Effekte durch ein leichtes Herüber- und Vorschieben Ritters aufgenommen werden.

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Der lange Ball wurde nun auf Meier gespielt. Dieser lies sich etwas Zurückfallen, während Daehli zumeist in die durch Aufrücken eines Paderborner Innenverteidigers aufgehende Lücke sprintete. Meier konnte die Bälle kaum festmachen, gewann lediglich 7 seiner 19 Luftduelle. Man merkt ihm das Alter, die Trägheit an. Nur selten kann er sich über eine kurze Bewegung vom Gegner absetzen, nur selten springt er überhaupt hoch. Paderborn gewann die Duelle und konnte direkt attackieren. Nach 20 Sekunden gewann Strohdiek sein erstes Duell mit Meier und leitete die Chance durch Michel ein.

Man sollte meinen, dass St. Pauli aus diesem Fehler lernen würde. Man sollte meinen, dass die Gefahren solcherlei langer Bälle schnell augenscheinlich werden. Aber in der zweiten Liga wird nicht gelernt. Woche um Woche spielen Mannschaften die selben Muster und erwarten andere Ergebnisse. Es tut mir im Rückblick wirklich leid, Tim Walters Kiel als wahnsinnig bezeichnet zu haben. Denn die Definition von Wahnsinn ist nicht, Risiken einzugehen, nicht, offensiv zu spielen, sondern immer wieder das gleiche zu tun und unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten.

Geschuldet dessen, dass Fußball manchmal ein absolutes Drecksspiel ist und durch die Unmöglichkeit, einen Ball mit den Füßen perfekt zu kontrollieren, basiert der Sport wie kein anderer auf Zufall. Und durch den Zufall können auch nicht vorhandene Offensivpläne ins Rollen kommen. Manchmal behielt St. Pauli den Ball nun eben doch. Dann wurde schnell Miyaichi auf dem Flügel gesucht. Dann unterstützte Daehli breit im ballnahen Halbraum. Dann gab es wunderbare Dribblings. Dann konnte Zehir dynamisch unterlaufen.

St. Pauli wurde meines Erachtens vor allem deswegen stärker in der zweiten Hälfte, da das Spiel insgesamt chaotischer wurde und die eigenen Unzulänglichkeiten im Offensivspiel von guten Improvisationen der Einzelspieler kompensiert werden konnten. St. Pauli konnte infolge mehrfacher Umschaltsituationen ausnutzen, dass beide Paderborner Sechser schnell den Weg nach vorne suchen und durch die Mitte kontern.

In Strafraumnähe hatte Paderborn nach solcherlei Kontern meist nur 6 Spieler. Die Viererkette und die beiden Sechser verteidigten, während die übrigen Spieler zockten. Paderborn konnte ab und an zwar kontern, hatte durch die Offensiverweigerungen der Paulianer Außenverteidiger aber nie eine Überzahl. Wenn man dennoch durchkam, wurde gefoult.

Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus, mit ihrem Team bei einigen Abseitsentscheidungen unsicher, agierte besser als alle ihrer Kollegen in den vergangenen Wochen. Sie schöpfte bei taktischen Fouls konsequent den Rahmen der Regeln aus und sprach Verwarnungen aus. Und dennoch bleibt der Regeltext begrenzt, Gelbe Karten sind in der Schlussphase des Spiels kein ernstzunehmendes Problem, eine in der 70. Minute ausgesprochene Verwarnung liefert keine adäquate Benachteiligung für die Relevanz des Fouls. Nur kaum ein Spieler schafft es, noch eine weitere Karte in der kurzen verbleibenden Zeit zu kassieren – und selbst wenn, hilft ein Platzverweis für kaum 10 Minuten fast nicht, insbesondere, wenn der Gegner daraufhin nur noch unkontrolliert in massive Strafraumbesetzungen spielt. Zeitstrafen im Fußball sind die einzige Lösung.

Warum der Fußballgott würfelt

Ich muss ob meiner oben geäußerten Kritik an der Spielweise vieler Zweitligisten noch einmal reiterieren. Warum hasse ich lange Bälle so sehr?

Überraschende Antwort: Ich tue es gar nicht. Ich habe kein Problem mit langen Pässen, ganz im Gegenteil können diese die schönsten Torvorlagen überhaupt ergeben. Ich habe auch kein Problem mit hohen Bällen. Edersons Abstöße an den gegnerischen Strafraum, wo man mit Dynamik in Gleichzahl angreifen kann, sind fast schon legendär. Ich habe aber ein Problem mit der Anspruchslosigkeit, die Fußballspiele mit Gepöhle gewinnen.

Hinter den langen Bällen von Köln (mit Abstrichen), Magdeburg und St. Pauli steckt schlichtweg kein überragend guter Gedanke, keine Taktik, kein spezifischer Vorteil, den man ausspielen möchte. Keine der Mannschaften kam durch diese Aktionen in vorteilhafte Angriffsdynamiken, nicht einmal kamen sie zu Spielkontrolle über Dominanz der zweiten Bälle. Ingolstadt, Hasenhüttl, zeigten in der Bundesliga, wie ein solches Spiel auf zweite Bälle aussehen kann. Enorm enge Strukturen mit allen Spielern, keine Außenverteidiger in Pseudo-Ballbesitz-Positionen, sondern eine vollständige Hingabe zur Idee, die eigenen Schwächen über Chaos zu kompensieren.

Doch weder Köln, noch St. Pauli haben Mannschaften, die eine solche Kompensation rechtfertigen würden. Ganz im Gegenteil könnte man die überragenden Qualitäten der Offensiven viel viel viel besser einsetzen, indem man sie in berechenbaren, gut vorbereiteten Situationen, ihre Unberechenbarkeit ausspielen lässt. Wie gerne würde ich Daehli in isolierten Dribblings, wie gerne Miyaichi in vorbereiteten Laufduellen mit einem dynamischen Vorteil sehen. Anstelle sich Gedanken zu machen, wie man dies gewährleisten kann, vertraut man dem Zufall, diesem großen Gleichmacher. Anstelle Fußball nicht nur zu pöhlen, sondern zu denken, macht man eine intellektuelle Niederlage zum Standard.

Doch es ist nicht nur die Verschwendung von Potential, die mich so wütend macht. Auch fehlt einem langen Ball, der mehrere Sekunden in der Luft hängt, jeglicher Überraschungswert. Während man in fünf Sekunden eine One-Touch-Kombination über sechs oder sieben Stationen spielen könnte, ändert sich nachdem der Ball den Fuß verlässt nichts.

Und auch auf einer persönlichen Ebene stört mich dieses Vorgehen. Auf Paderborner Seite kann ich über das keineswegs perfekte und insgesamt noch recht wenig komplexe Ballbesitzspiel ohne Probleme 1000 Wort mit Beschreibung der Ausgangslage und der Lösungsfindung füllen. Es macht mir Spaß, darüber nachzudenken, auch wenn es strategisch wenig komplex ist. Ich habe das Gefühl etwas gesehen, verstanden, und erklärt zu haben. Bei langen Bällen habe ich immer das Gefühl, nichts gesehen, nichts verstanden, nichts zu erklären zu haben.

Das wahrhaft ironische an alldem ist dennoch, dass die 1000 Worte über Iterationen im Paderborner Ballbesitz weniger Überinterpretation enthalten als die vielleicht 300 Worte über die Gegenseite. Niemand gewinnt durch eine intellektuelle Niederlage.

Fazit

Paderborn iteriert und wirft den Prototyp eines guten Ballbesitzes weg. St. Pauli versucht es erst gar nicht, gewinnt aber mit gutem Pressing, Zufall und Alex Meier. Ein Sieg, der in Betrachtung der Chancen beider Teams in Ordnung geht, solange man die sonstigen Spielanteile vergisst.

 

 

 

 

3 Kommentare zu „Der Fußballgott würfelt

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