Philipp Klement kehrte nach überstandener Adduktorenverletzung in die Startaufstellung zurück, und der SCP, der fast in eine Minikrise gerutscht war, siegt wieder. Doch das Ergebnis, der 3:1-Sieg gegen Schanzer, die weit über den Erwartungen ihrer Platzierung spielten, wurde nicht nur über die besungenen Helden, über Klement und Jimmy erspielt, sondern auch über phantastische Leistungen von Zingerle, der Paderborn mit überragenden Reflexen im Spiel hielt, Strohdiek, der individuell stark verteidigte und systemische Schwächen kompensieren konnte und Schonlau, der sich neben seiner starken defensiven Präsenz auch im Aufbauspiel, durch Laserpässe und gutes Bewegungspiel auszeichnete.
Der SC konnte gegen wirklich starke Schanzer nicht zuletzt aufgrund dieser Spieler lange genug in der Partie bleiben, bis eine taktische Umstellung, fehlerhafte, geradezu hanebüchene Orientierung im Umschaltmoment und letztendlich Nervosität ob der Gegentore den Tabellenletzten zu Fall brachten.
Mannschaftsaufstellungen
Auf Paderborner Seite gab es im Vergleich zur Niederlage in Aue drei Veränderungen in der Startformation. Ritter und Pröger wurden mit einem geradezu goldenen Händchen durch die beiden Torschützen Klement und Antwi-Adjej ersetzt, zudem kam Strohdiek für den etwas fragwürdig rotgesperrten Hünemeier in die Aufstellung.
Dass der SC sich über seine Sperre nur kaum beschweren konnte, fällt bei einem Blick auf das Ingolstädter Team sofort auf. Auch Jens Keller nahm drei Wechsel vor, dabei war Ex-Paderborner Krauße gelb-rot-gesperrt, sein Mittelfeldkollege Cohen mit einer roten Karte ebenfalls nicht einsatzfähig und Linksverteidiger Paulo Otavio zuletzt mit seiner fünften gelben Karte gesperrt. Diese Sperren können vom wirklich starken Kader dennoch fast ohne Qualitätsverlust kompensiert werden, mit Gaus, Gimber und Kerschbaumer kamen im Speziellen drei Spieler neu ins Team, die ohne Frage gutes Zweitliganiveau aufweisen.
12 Rules for Ballbesitzspiel
Die Qualität der Spieler und des Trainers zeigten sich bei Ingolstadt bereits in der Anfangsphase. Vom Abstoß weg positionierten sie sich mit Ball in einer 2-1-4-3-artigen Struktur, in der die Außenverteidiger sich nicht wirklich am tiefen Spielaufbau beteiligten, sondern zumeist in einer recht hohen Position verblieben, in der sie vornehmlich die Paderborner Flügelspieler binden und als breite Option im Angriff, situativ aber auch als Wandspieler für Klatschpässe auf Sechser Gimber dienten.

Auch die weitere Positionsstruktur stellte sich als weitaus sinnvoller als der Ligastandard dar. So schoben die Flügelspieler in die Halbräume ein, wodurch sie die Paderborner Außenverteidiger recht eng binden, bei deren Herauspressen auf den Flügel aber gleichzeitig im Rücken nach außen starten konnten, während auch beide Achter hoch in den Zwischenlinienraum schoben, ein Vorpressen der Paderborner Sechser auf Gimber im tiefen Aufbauspiel verhinderten und bei langen Bällen, zumeist halbrechts hinter die Kette gepeilt, sofort ballnah für den zweiten Ball waren.
Es ist Jens Keller zuzuschreiben, dass er einfache, aber sinnvolle Regeln für seine im Abstiegskampf befindliche Mannschaft gefunden hat. Auch wenn die Formation in Ballbesitz im weiteren Verlauf des Spiels variiert wurde, gab es durchgehend eine einfache Flügelbesetzung, durchgehend eine massive Besetzung der offensiven Mitte, durchgehen diagonale Läufe hinter die Außenverteidiger und durchgehend Dritter-Mann-Kombinationen um flach ins Zentrum zu kommen. Auch die Reduktion an Spielern im Aufbau mag vielleicht paradox, weil instabil wirken, reduziert aber die Komplexität der notwendigen Wahrnehmung durch weniger bewegliche Teile, und vereinfacht dadurch die Entscheidungsfindung.
Denn anders als oftmals dargestellt ist Abstiegskampf meist nur indirekt eine Folge zu geringer Qualität der Einzelspieler. Vielmehr wird bei zu starker Emotionalität, sei es durch Euphorie, aber auch durch Angst, ihrerseits durch die Negativerlebnisse der vergangenen Wochen und immer wieder durch in der Vergangenheit fehlgeschlagene Aktionen getriggert, das Arbeitsgedächtnis überladen und die Entscheidungsfindung gestört. Da die Kapazität dieser eingeschränkt ist, ist es taktisch nur sinnvoll, den notwendigen Aufwand zu reduzieren.
Und Ingolstadt hatte Erfolg mit seiner Strategie. In der ersten Linie ließen Mavraj und Kotzke den Ball von einer Seite zur anderen laufen, während sich Gimber konstant hinter der Schnittstelle der beiden pressenden Paderborner Stürmer bewegte, wenngleich er kaum angespielt wurde, wenn der Passweg nach Rückpass auf Tschauner aufging. Nach einigen Pässen in der ersten Linie wurde tendenziell eher ein langer Ball in den rechten Halbraum, genauer gesagt hinter die Abwehr geschlagen. Auch wenn der erste Ball meist an Strohdiek ging, konnte dieser im Rückwärtslaufen nicht sauber klären, sodass die nun ballnah herüberschiebenden Achter an den Ball kommen und Angriffe am Flügel einleiten konnten.
Darüber hinaus gab es immer wieder Positionswechsel, gerade Kittel bewegte sich vom linken Flügel häufiger in den rechten Halbraum, um diagonale Chipbälle hinter die Abwehr zu spielen. Ingolstadt kam über seine Vielzahl an Flügelangriffen zu mehreren Chancen, bei denen der Ball in den auf Paderborner Seite notorisch offenen Rückraum gespielt werden konnte, und auch zu einigen Eckbällen.
Eine besonders interessante Umformung gab es um die 15. Minute zu sehen. Paulsen ließ sich für einige Minuten verstärkt neben die Innenverteidiger zurückfallen, Pledl agierte dafür breiter am Flügel, während Kerschbaumer in die äußere Schnittstelle der Viererkette schob (siehe Prinzipien oben). Da die Pressingwege für Tekpetey recht lang waren, blieb Paulsen viel Zeit am Ball, die er für präzisere Flugbälle hinter die Kette nutzen könnten. Es ist mir nicht wirklich ersichtlich, warum die Schanzer nach wenigen Minuten wieder von diesem Mittel absahen, ein Argument wäre lediglich die geringe Präsenz auf zweite Bälle, die sich durch das Fehlen eines Spielers im tiefen rechten Halbraum ergab.
E tu, Konte?
Natürlich hatten die hohen Positionen Ingolstadts auch eine Kehrseite. Wenn der Ball nach langen Bällen über das Mittelfeld geklärt werden konnte, hatte Paderborn im Prinzip eine 6v3 Überzahl. Tatsächlich kann man eine solche Überzahl nie so ausspielen wie es die bloße Zahl der hinter dem Ball befindlichen Spieler beider Mannschaften suggeriert. In keinem Konter werden alle Mittelfeldspieler blind nach vorne sprinten, zu groß ist das Risiko eines Gegenkonters, auch muss ein Spieler, der den initialen Vertikalpass spielt, tiefer verbleiben. Zuletzt war der ballferne Außenverteidiger zumeist etwas tiefer und schnell neben der Abwehr, sodass man eher 4v4 bis 5v4-Konter hatte.
Nichtsdestotrotz muss man bei Paderborn kritisieren, dass man der Lösungstheorie seiner eigenen Konter (meinerseits ironischerweise ob des Pokalspiels der vergangenen Saison gegen Ingolstadt ausgeführt) nicht treu blieb. Im Speziellen soll der ballführende bei Kontern der tiefste Spieler einer Raute sein. Vor ihm geht ein Mitspieler leicht diagonal abgesetzt, in die Tiefe, um die gegnerischen Verteidiger zu binden, während die Flügelspieler an beiden Seiten idealerweise tororientierte Optionen bieten.
Es ist von besonderer Wichtigkeit, dass der Konter so lange wie nur irgend möglich im Zentrum gehalten wird, da man nur von dort eine Vielzahl an Optionen hat. Sollte der Ball unter Druck denncoh zum Flügel gespielt werden, sollte dieser Spieler versuchen, wieder an die Basis der Raute zu gelangen, im Speziellen also ins Zentrum zu dribbeln, während der zentrale Stürmer auf den Flügel weicht, das Zentrum vom ballfernen Flügelspieler besetzt und der Flügel vom vorherigen Ballführer auflaufen wird.

Paderborn spielte im Verlauf der Partie lediglich einen Konter, der prompt zur größten Chance, dem Außenristschuss durch Michel führte, derart mustergültig aus. In einer Vielzahl der Fälle wurde der Ball stattdessen, nachdem der Ballführende von Gimber und Druck gesetzt wurde, auf den Flügel abgegeben, wo keine Aktion ins Zentrum, sondern nach außen erfolgte. Anstelle drei flache Optionen zu erhalten, verblieb somit lediglich die Flanke, ihrerseits am wenigsten erfolgsversprechend.

Überladung im Feld und Kopf
Paderborn erhielt mit dem Spielverlauf immer größere Ballbesitzanteile, Ingolstadt spielte defensiv zwar passend, aber standardmäßiger als in der eigenen Offensive. Aus einer 4-1-4-1 Formation nahmen die beiden Achter enge Mannorientierungen auf die Paderborner Sechser auf. Der einzige Stürmer sollte Querpässe zwischen den Innenverteidigern verhindern, die beiden Flügel agierten in Ausnahme des Angriffspressings, wo der ballferne Flügelspieler situativ den ballfernen Paderborner Innenverteidiger aufnahm, in Mannorientierung auf die Außenverteidiger.
Aus dieser Ausgangslage entwickelte sich ein recht simpler Spielrhythmus. Da Lezcano nicht beide Innenverteidiger auf einmal abdecken konnte, konnten diese immer wieder weit andribbeln. Als Anspielstation wurden dann primär die nach außen weichenden Stürmer für Ablagen gesucht, im Spielverlauf aber häufiger die zwischen Flügel und Achtern zurückfallenden Flügelspieler gefunden. Auch in den Situationen, in denen die Innenvertieiger an der Doppelacht vorbeilaufen konnten, gab es nur selten diagonale Pässe in den Zehnerraum, da Gimber diesen durchgehend abdeckte.
Stattdessen wurde die Ballseite immer wieder mit einem hervorschiebenden Sechser, und den aufschiebenden Außenverteidigern und dem ballführenden Innenverteidiger überladen, wenngleich, auch geschuldet der ohnehin mannndeckenden Orientierung, kein systemischer Effekt auf Ingolstadt erzeugt werden konnte. Dies soll bedeuten, dass man die Schanzer nicht auf eine Seite locken konnte, um in der Folge zu verlagern, da sie die Ballseite immer nur in Gleichzahl verteidigten.

Schonlau zeigte sich im Spielvortrag abermals als absolut überragend. Nicht nur schob er ballfern immer wieder passend vor und zerstörte gegnerisches Pressing durch gegendynamische Bewegungen, auch sein Passpiel mit vielen kleineren Rhythmusverschärfungen und verdeckten Pässen war eine Augenweide.
Für den Paderborner Spielrhythmus war es in dieser Phase vor allem zuträglich, wenn Tekpetey sich links vor das Mittelfeld zurückfallen ließ, um in der Folge eine diagonale Aktion zu suchen. Indem er sich zentral bewegte, konnte er nämlich einen Ingolstädter Achter anlocken, wodurch der nun freie Paderborner Sechser vorschieben konnte.
Interessanter und besser als das Paderborner Übergangsspiel gestaltete sich das Herausspielen im tiefen Aufbau insbesondere nach Abstößen. Bei diesen rückte Kerschbaumer halbrechts auf Strohdiek heraus, sodass Träsch Vasiliadis und Klement alleine abdecken musste. Dies gestaltete sich zwar als wenig problematisch, wenn der Ball auf den Außenverteidiger ging (gerade Dräger machte im Aufbau ein wirklich schwaches Spiel), konnte aber über Zingerle ausgenutzt werden. Im tiefen Aufbau befreit, konnte der Ball einfach vor die Kette getragen werden, wenngleich sich auch hier ähnliche Probleme zum Konter ergaben.
Im Verlauf des Spiels hatte Ingolstadt zunehmend Probleme, chaotische Situationen zu kontrollieren, sodass Paderborn mehr Dominanz entwickeln konnte und zu längeren Ballbesitzphasen am Ingolstädter Strafraum kam. Insbesondere hatte Paderborn in einer Szene eine 2-3-5-Staffelung mit eingeschobenen Außenverteidigern, die eine gute Zirkulationsbasis bot, letztendlich aber durch einen unbedrängten weiten Rückpass zerstört wurde.
Erst eine Umstellung erlaubte es Paderborn, das Spiel zu drehen. Und obwohl man in dieser Phase Zolinski für Pröger wechselte, war es Ingolstadt selbst, das das Spiel zu kippen brachte. Anstelle weiterhin in einem tiefen 4-5-1 am Strafraum zu verteidigen, in dem man horizontal jederzeit kompakt war, schob Kerschbaumer konstant vor den Block, um dort eine Manndeckung auf den tief bleibenden Paderborner Sechser aufzunehmen. Bei Angriffen am Flügel verhielten sich die beiden zentralen Spieler der Schanzer aber weiterhin so stark ballnah unterstützend, als ob sie in einem Dreiermittelfeld spielten.
Vor dem Ausgleich hat Collins den Ball am Flügel. Gimber weicht vor der Abwehr sehr weit aus, während auch Träsch sich herüberbewegt. Kerschbaumer bleibt hoch, sodass Klement in der ballfernen Mitte absurd offen steht. Einen Horizontalpass und etwas scheinbar ineffiziente Magie später steht es 1:1.
Nach dem Ausgleich wird klar, dass Ingolstadt im Abstiegskampf steckt. Auch wenn man weiterhin zu Chancen kommt, reicht Paderborn ein Orientierungsfehler der gesamten Kette, die nach einem Andribbeln Klements gegen vier Gegner bereits mit dem Ballgewinn rechnet und nach vorne trabt, zum Ausgleich durch Jimmy.

Zum Schluss setzt der SC nach einem langen Abschlag auf Gueye, einer Verlängerung und einem guten Ausspielen auf Jimmy das 3:1 hinterher. Kein einziger Schanzer, kein Mittelfeldspieler war nach dem Kopfballduell mit nach hinten gelaufen.

Fazit
Es sind Fehler wie diese, falsche Wahrnehmungen von Situationen und schlechte Entscheidungen, die den Abstiegskampf ausmachen. Trotzdessen, dass man bessere Chancen hat als der Gastgeber, trotzdessen, dass man über eine Stunde fast nichts zulässt, verliert man das Spiel in drei Situationen.
Ich denke mir immer wieder, dass Ingolstadt mit diesem Kader, diesem Trainer, und diesen Trainingsbedingungen aus dem Abstiegskampf herauskommen müsste. Dieses Spiel zeigt aber, dass man Fußball nicht rein rational erfassen kann, dass es oftmals um mehr als Taktik geht und dass nicht greifbare Elemente schlussendlich entscheidend sein können.
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