Ein Derby, wenn man das Spiel zwischen dem SCP und der Bielefelder Arminia wirklich als ein solches bezeichnen möchte, bewegen sich häufig vollkommen losgelöst von Tabellensiuationen und Form. So kann der FC Schalke in der tiefen Krise dieser Saison dennoch einen Sieg gegen den Dortmunder Meisterschaftsanwärter einfahren, und so kann der DSC Arminia Bielefeld seine Statistik, nie (!) daheim gegen den SC Paderborn verloren zu haben, beibehalten.
Der Vergleich zu den jüngsten Revierderbys hinkt dennoch ein Stück weit. Bielefeld befindet sich seit der Amtsübernahme Uwe Neuhaus‘ keineswegs in einer Krise, sondern konnte sich mit überragenden Ergebnissen zu Beginn der Rückrunde ins gesicherte Mittelfeld zurückkämpfen. Dass auch der Kader des letztjährig Viertplatzierten ein hohes Niveau aufweist, muss an dieser Stelle wohl kaum erwähnt werden.
Es entwickelte sich ein Spiel, in dem beide Teams zunächst auf Augenhöhe auftraten. Paderborn hatte zunächst weit mehr Ballbesitz, ließ aber weder eigene noch gegnerische Chancen zu. In der ersten Halbzeit gab es bei 64% Paderborner Ballbesitzt lediglich sieben Torschüsse zu verzeichnen. Doch in der zweiten Halbzeit brachen alle Dämme. Bielefeld ermüdete den Gegner durch viele hohe Vertikalbälle und nutzte die abnehmende Konzentration zur Führung. Trotz deutlicher Vorteile konnte die Arminia das Chaos nicht vollständig kontrollieren und musste so, insbesondere in der Schlussphase, mehr Paderborner Chancen zulassen. Als Summe der zweiten Hälfte stehen 20 Schüsse, derer 13 von der Arminia abgefeuert wurden.
Mannschaftsaufstellungen
Die Bielefelder Gastgeber starteten mit ledglich einer Veränderung in das Spiel. Behrendt, in der vergangenen Woche des Platzes verwiesen wurde in der Innenverteidigung von Pieper ersetzt. Um die beiden offensiven Ausnahmespieler Voglsammer am rechten Flügel und Klos in der Sturmspitze wurde ein System gebaut, welches sich defensiv klar als 4-4-2 darstellte, offensiv durch situativ tiefere Positionen Yabos aber auch leichte Tendenzen zum 4-3-3 aufwies.
Bei Paderborn gab es einen Wechsel, trotz dessen Verletzungsproblemen überraschend wurde Michel von Ben Zolinski in der Spitze ersetzt. Formativ änderte sich derweil nichts, offensiv wie defensiv agierte der Sportclub aus einer 4-4-2-Grundordnung, wenngleich die unterschiedlichen, konkreten Strukturen aus unterschiedlichen Bewegungen, vor allem einem Hochschieben der Sechser oder dem Aufrücken Drägers, resultierten.
Eine Frage des Leitens
Die klareren Spielphasen der Partie wurden allen voran aus geordnetem Paderborner Ballbesitzspiel bestritten. Dementsprechend soll dieses an dieser Stelle ein besonderes Augenmerk erhalten. Ein Pressing des tiefen Spielaufbaus, besipielsweise bei Abstößen, war nur kaum gegeben, wurde wenn aber, recht simplistisch und Lesern dieses Blogs bekannt, aus einer 4-4-2-Grundordnung mit klaren mannorientierten Zuordnungen bestritten.
Häufig verzichtete die Arminia allerdings gänzlich darauf, Paderborn hoch anzulaufen und damit möglicherweise Räume für Schnellangriffe zu öffnen, sondern zog sich früh und massiv in ein Mittelfeldpressing zurück. Die grundsätzliche Struktur blieb dabei dieselbe, wenngleich das individuelle Verhalten sich als interessant darstellte. Die Flügelspieler agierten nämlich nicht auf einer Linie mit den Sechsern, sondern in höheren, vorgeschobenen Positionen.
Gewissermaßen schien dieses Verhalten durch die recht tiefen Ausgangspositionen, die die Paderborner Außenverteidiger neuerdings im Aufbauspiel einnehmen, hervorgerufen. Allerdings kamen Mannorientierungen nicht durchgehend vor, so wurde das Überlaufen Drägers beispielweise nur kurzzeitig von Voglsammer aufgenommen, bevor er sich wieder auf seine höhere Ausgangsposition bewegte.
Durch die nach vorne geschobenen Flügelspieler wurde der sonst vorhandene Raum neben der Doppelspitze, in welchen sich Klement sonst zur Spielgestaltung bewegen könnte geschlossen, was die Sechser zur Positionierung hinter den Stürmern und Paderborn zum zentralen Überspielen des Pressings zwang. Dies gelang zwar vereinzelt, allerdings konnten die diagonalen Passwege zum zentralen Sechser bei einer unveränderten Paderborner Aufbaustruktur recht statisch über die beiden Stürmer kontrolliert werden. Es wäre hier löblich gewesen, wenn das Tiefblieben Collins infolge frühem Überlaufens Drägers zum Durchschieben zu einer symmetrischen Dreierkette und damit zum vertikalen Passweg in den Sechserraum geführt hätte.
Darüber hinaus zeigte sich die Offensivbesetzung, wenn doch einmal das Anspiel ins Zentrum gelang, als etwas unpassend. Auf der linken Seite war es meist nur Jimmy, der eine hohe und breite Position einnahm, während Gueye sich als nominell linker Stürmer als Wandspieler ins Zentrum bewegte. Unabhängig vom schlechten Tag, den der Stürmer dabei erwischte, war seine Position auf Höhe der Bielefelder Sechser nicht wirklich seiner Stärke im Spielen mit Rücken zum Tor angemessen. Anstelle Ablagen in sein Sichtfeld spielen zu können, musste er Pässe zur Seite spielen oder kleinräumig aufdrehen.
Seine zurückgezogene Positionierung hatte aber auch weiter entfernt Effekte. Da die Innenverteidiger nicht gebunden wurden, musste Zolinski häufiger in die letzte Linie schieben, was nicht wirklich seinen Stärken im kombinativ verbindenden Spiel entspricht. Während Jimmy links häufig auf sich allein gestellt war und keinen Kombinationspartner im Halbraum hatte, war die Verteilung auf der rechten Seite etwas besser. Klement schob häufiger dorthin hoch, Zolinski rückte etwas herüber, Pröger rückte ein und Dräger überlief.

Dennoch gelang es Paderborn kaum auf der überladenen rechten Seite zu Durchbrüchen zu kommen. Beide Bielefelder Sechser schoben in diesen Momenten herüber, während uch Voglsammer mitverteidigte und Klos auf Rückpässe anlief. Die Chancen infolge der ausgespielten Überladung fanden sich hauptsächlich nach Verlagerungen in den ballfernen linken Halbraum, wo sowohl zwischen Prietl und Clauss als auch zwischen Pieper und Brunner große Lücken klafften. Erstere war hervorgerufen durch das chronisch nicht vorhandene Durchschieben ballferner Flügelspieler in 4-4-2-Pressings, letztere resultierte aus der breiten Bindung Brunners. In der ersten Hälfte war es Vasiliadis, der in diese Raum stieß, zum Ende der zweiten Halbzeit erhielt Klement zwei Chancen nach ähnlichem Ablauf.
Nun, zum Ende dieses Abschnitts, sollten wir zum Inhalt der Überschrift kommen. Voglsammers Defensivverhalten eignet sich nämlich als gutes Beispiel, um die Gedanken hinter sowie Chancen und Gefahren von asymmetrisch leitenden Positionierungen zu veranschaulichen.
Paderborn attackiert gerne und vornehmlich den rechten Flügel entlang. Nicht nur befindet sich hier mit Schonlau der beste Aufbauspieler und mit Dräger die offensivere Besetzung der Außenverteidigerposition, auch ist für die rechtsfüßige Paderborner Innenverteidigung leichter mit ebendiesem starken Fuß, nach rechts zu spielen.
Im Leiten stellt sich nun immer die Frage, ob man die präferierte, zumeist ja erfolgsstabilere Variante erschwert, indem man Schonlau besipielsweise eng decken lässt, oder ob man diese einlädt, um sich stärker auf die Verteidigung von Anschlussaktionen zu konzentrieren.

Bielefeld reagierte, indem man Voglsammer gerade nach Rückpässen Drägers bis auf Schonlau durchrücken ließ. Durch diese Bewegung wurde Schonlau unter Druck gesetzt, während sich Klos ins Mittelfeld fallen lassen konnte, um Passwege ins Zentrum abzudecken. Der Passweg zu Dräger wurde ebenso geschlossen, während Dräger nominell offen blieb. Man tendiert in der Systematisierung von Pressing oftmals dazu, die Qualität dessen zu überschätzen. Wenn von einem abgedeckten Passweg die Rede ist, ist dieser nur selten wirklich abgedeckt. Gute Fußballer sind in der Lage, auch abgedeckte Mitspieler zu finden, indem sie die Passrichtung etwas variieren und Pässe etwas neben den Kollegen, damit aber auch neben den Gegner, in offene Räume spielen.
Man kann Spieler durch leitendes Anlaufen nicht aus dem Spiel nehmen, aber man kann die Mitspieler dazu bringen, in Anbetracht des Risiko eines Ballverlusts von Pässen auf diese abzusehen. So geschah es auch hier. Schonlau spielte dennoch einige Male auf Dräger, häufiger als sonst aber auch zurück zur anderen Seite. Wenn der Pass doch gespielt wurde, war es der Bielefelder Außenverteidiger Lucoqui, der auf Dräger herausschob und den Ballgewinn suchte.

Dieses Pressing war enorm effektiv, da Dräger bei der Ballannahme unter Druck häufig Probleme hat und diese sich durch die teils notwendigerweise unpräzisen Anspiele potenzierten. Überdies kann man davon ausgehen, dass ein Außenverteidiger defensiv stärker ist als ein geschulter Stürmer wie Voglsammer.
Um zusammenzufassen: Durch leitendes Anlaufen kann man die Orientierung des Ballführenden beeinflussen, die Anzahl und Qualität der Pässe in die abgedeckte Richtung reduzieren. Es bietet sich insbesondere an, den Passempfänger im leitenden Pressing offen zu lassen, wenn dieser schwach in seiner Ballverarbeitung ist. Wenn der Empfänger sicher ist, ist es wahrscheinlich sinnvoller, so zu leiten, dass man ihn bei gelingendem Anspiel sofort unter Druck setzen kann.
Offensiv ist es im Gegenschluss häufig sinnvoll, dem gegnerischen Leiten nicht zu folgen, sondern zu widersprechen. Wenn ein Aufbauspieler geleitet wird, reagiert das gesamte Pressingteam in Erwartung einer gewissen Aktion. Durch das Ausführen des genauen Gegenteils kann man im Aufbauspiel Räume gewinnen, die Reaktion des Gegners verzögern und Gegendynamiken ausnutzen.
Ortega Space Program
Die Ausführungen über die Phasen Bielefelder Offensive lassen sich an dieser Stelle etwas kürzer halten. Zwar gab es Phasen tiefen Aufbauspiels, in dem Abstöße flavh ausgespielt wurden, insbesondere war es hier Weihrauch, der sich halblinks an den Strafraum fallen ließ, Zolinski lockte und Pröger ins Börner zwang, bevor er den Ball zum offenen Lucoqui bringen konnte, allerdings wurde die Mehrzahl an Pässen lang gespielt.

Zwar gab es vom Flügel gute Übergänge auf Weihrauch, der diagonal in den ballfernen Halbraum vorstieß, allerdings passierte der Ball das Mittelfeld meist hoch.

Es ist verständlich, warum Bielefeld selten flach spielte, nachdem man die größte Paderborner Chance der ersten Halbzeit mit einem langsamen Anspiel auf dem vor dem Strafraum befindlichen Prietl, der von beiden Seiten unter Druck gesetzt den Ball verlor, selbst einleitete. Dass der Misserfolg der einen Variante aber nicht der einzige Grund für die Fokussierung der anderen war, zeigte sich im ersten Tor.
Ortega spielte einen sehr weiten Ball auf die linke Offensivseite, Voglsammer gewann das Duell gegen den im Kopfballduell hoffnungslos unterlegenen Dräger und leitete auf Klos weiter, der zwischen den Paderborner Innenverteidigern durchlief. Diese stehen zuvor nicht auf einer horizontalen Linie und erlauben es dem Bielefelder Torjäger somit, Tempo aufzubauen, ohne ins Abseits zu laufen.

Der Mangel an Präzision im Positionsspiel ist direktes Resultat des vorherigen Spiels. Bielefeld spielte immer wieder lange Bälle hinter die im Angriffspressing weit aufgerückte Paderborner Kette. Nach dutzenden Sprints lässt nicht zwingend die Bereitschaft nach, wohl aber die Fehleranfälligkeit.
Ich habe weiter oben von der Rücksichtnahme auf den Passgeber für die Konzeption eines Pressings gesprochen. Nur selten ist es der Fall, dass man den Ball im Angriffspressing vom Torwart weghalten muss. Doch Ortega vermag es aus dem Fuß Pässe über 70 bis 80 Meter, weit in Paderborner Hälfte und damit hinter die Kette zu spielen. Ein Fähigkeit, die bei schnellen Offensivkräften so effektiv zum Überspielen des Pressings ist, dass sogar Pep Guardiola, Hohepriester des flachen Aufbauspiels, insbedondere wegen dieser Fähigkeit Ederson verpflichten ließ.
Es ist recht einfach, lange Bälle vor die Kette über Herausrücken und Dreiecksbildung zu verteidigen. Doch wie soll man das Kopfballduell absichern, wenn man bis zu diesem im Lauf befindlich ist und gar nicht hinter den Duellanten kommen kann? Das ist keine rhetorische Frage, ich weiß es wirklich nicht.
Doch Bielefeld kam durch die langen Bälle nicht nur zu direkten Durchbrüchen, sondern konnte jegliche Paderborner Kompaktheit zerstören und durch Nachrückbewegungen ausnutzen. Es ist eine recht einfache Idee, die durch die Konstallation der Spielerfähigkeiten effektiv wird und zu einem extrem aufreibenden Spiel führt. Einem Spiel, dessen Laufstrecken diesen Eindruck bestätigen. Knapp 125 Kilometern auf Paderborner Seite stehen unfassbare 129,5 Kilometer auf Bielefelder Seite gegenüber.
Fazit
Bielefeld kappt Paderborns liebste Option im Aufbauspiel, während sich der SC mit einer unpassenden Konstellation an Offensivspielern herumschalgen muss. Der DSC nutzt währenddessen Ortega, um Bälle in den Erdorbit zu schießen und die Direktheit seiner Offensiven einzubringen.
Es entsteht ein Derby mit großem Kampf, viel Tempo und Spannung, aber recht wenigen spielerischen Highlights. Ein Derby, das nicht nur losgelöst von der Tabelle stattfand, sondern diese, aufgrund der Niederlagen von HSV und Union, auch nicht verändert.
Ein Kommentar zu „Ortega Space Program“