Epistemologische Demut

Fußball ist weder deterministisch noch zufällig. Keine Aktion, keine Taktik, keine Aufstellung, kein Kader vermag es, Erfolg zu garantieren, doch nahezu jede Aktion, jede Taktik, jede Aufstellung und, aus Paderborner Sicht ein Hoffnungsschimmer, jeder Kader kann erfolgreich sein.

Die Entscheidungsfindung im Fußball beruht auf einem meistens eher impliziten Verständnis jedes Prozesses als stochastisch. Ein teurerer, bedacht zusammengestellter Kader erhöht die Erfolgschancen ebenso wie eine bessere Aufstellung, eine passendere Taktik oder eine besser ausgewählte Aktion.

Im Fußball werden Entscheidungen über die meisten dieser Prozesse hauptsächlich subjektiv und qualitativ getroffen. Die Verpflichtung eines neues Spielers mag zwar aufgrund auffälliger statistischer Kennzahlen attraktiv werden, es folgt aber immer eine Videosichtung und ein Gespräch mit dem Spieler – zwei subjektive Entscheidungen prüfen eine quantitative.

Während Statistik am oberen Ende der Entscheidungsfindung um ein Fußballspiel ihre Anwendung findet, tritt sie ansonsten nur auf, um eine vielschichtigere Einschätzung der Ergebnisse zu liefern. Das Ergebnis, die Anzahl der geschossenen Tore, soll zwar optimiert werden, allerdings sind Ergebnisse in der Regel weder repräsentativ für das vorangegangene Spiel, noch prädiktiv für die nachfolgenden.

Aufstellung und Taktik ließen sich offensichtlich nicht als gut bewerten, wenn man gegen einen gleichwertigen Gegner zwar gewinnt, das entscheidende 1:0 aber aus der einzigen eigenen, einer Vielzahl von gegnerischen Chancen gegenüberstehenden, Chance fällt.

Nun sind Aufstellung und Taktik (im wesentlichen ist die Trennung zwischen den beiden Begriffen nutzlos, taktische Muster resultieren von einzelnen Spielern und sind in ihrer Erfolgsstabilität von ihnen abhängig) bei weitem nicht so unidimensional, dass sie die Schlussfolgerung: Gewonnen – Taktik gut zuließen.

Der gern, auch an dieser Stelle verwendete, Begriff der Taktik fasst auf ein Spiel gesehen eine unendliche Anzahl an Entscheidungen und Aktionen zusammen. Taktikanalyse dient dazu, aus dieser unendlichen Anzahl auf zusammenhängende, wiederkehrende und relevante Muster zu schließen und deren Erfolgsstabilität einzuschätzen.

Doch jedes dieser Kriterien hat verbundene Ungenauigkeiten, die dadurch noch verstärkt werden, dass sie sich gegenseitig widersprechen. So ist beispielsweise die Struktur des Offensivteams beim Jubel über eine Saison wiederkehrend, für den Spielverlauf aber gänzlich irrelevant. So entsteht ein Tor vielleicht aus einer einmalig auftretenden Situation trivialerweise nicht wiederkehrend, sehr wohl aber relevant.

Die Heuristik, die ich über die vergangenen Jahre entwickelt habe, sieht in etwa so aus. Muster entstehen aus dem Zusammenhang, über einem gewissen Schwellwert (einem Einfluss auf das Spiel) sind sie immer dann relevant, wenn sie wiederkehren. Überdies sind Aktionen mit hohem Einfluss auf das Ergebnis (Tore) grundsätzlich immer als relevant zu sehen.

Aus dem Ergebnis dieser Mustererkennung lässt sich nun ein Eindruck, eine Vorstellung der Partie interpolieren. Man kann sagen, in welcher Struktur und in welcher Sequenz Teams zumeist aufbauen, in welcher Höhe, Struktur, strategischen Ausrichtung, auf welche Signale sie pressen und so weiter.

Doch der wichtigste Punkt ist soweit noch unerwähnt – wie schätzen wir Erfolgsstabilität, oder anders gesagt, die Chance, dass eine Aktion zum Erfolg führt, ein?

Stellen wir uns zu diesem Zweck mal eine hypothetische, des Realismus halber aber Moritz Stoppelkamp enthaltende, Mannschaft vor, deren einziges Offensivmuster darin besteht, aus dem eigenen Strafraum zu schießen. Wenn diese Mannschaft nur so angreift, wird sie auch alle ihrer, vermutlich nicht allzu zahlreichen, Tore aus diesem Muster erzielen.

Dass man dieses Muster über eine Saison weg als nicht allzu erfolgsstabil sehen wird, wenn 2 von 1300 Schüssen ihr Ziel finden ist offensichtlich. Dass es auch kein gutes Muster ist, wenn man es einmal wählt und dabei vielleicht sogar trifft ist weniger offensichtlich.

Meines Wissens gibt es keine Mannschaft, die diesem grotesken Beispiel entspricht. Gleichwohl werden wenig erfolgsstabile Muster – seien es Distanzschüsse, Flügelfokus, späte Auswechslungen oder gar eine defensive Ausrichtung im Abstiegskampf – immer wieder angetroffen.

Warum formuliere ich diese Ausführungen und keine eigentliche Analyse?

Zweierlei. Zum einen möchte ich betonen, dass Tore und Ergebnisse, das Funktionieren oder Scheitern einzelner Aktionen oder Muster nicht zwingend auf deren Erfolgstabilität zurückschließen lässt.

Zum anderen allerdings lässt sich ein deutlich breiteres Feld aufmachen. Bei der Beurteilung von Taktik im Speziellen und Fußball im Allgemeinen muss man spezielle Abläufe in wiederkehrende Muster einordnen, um eine ausreichende Stichprobe über deren Erfolg zu erhalten, diese Erfolgsstabilität wiederum muss man an die konkrete Situation, die beteiligten Teams und Spieler, psychologische und physiologische Faktoren anpassen.

Es sind so viele statistische und stochastische Kalkulationen mit derart unzähligen Unbekannten, dass man, um ehrlich zu sein, sehr wenig weiß. Als Taktikanalyst tendiert man dazu, arrogant zu werden, seine Meinung über die anderer zu stellen. Vielleicht liegt man, unter Umständen, im Mittel, über viele Aussagen, über dem Schnitt. Wahrscheinlich aber nicht allzu weit.

Gleichzeitig muss man ehrlich sein, Erfahrung sammeln, Situationen rigoros einordnen und diese Einordnungen selbstkritisch prüfen. Anders gesagt muss man epistemologische Demut bewahren. In einer Welt der Unsicherheit gibt es keinen perfekten Weg, wohl aber bessere und schlechtere.

 

 

 

Ein Kommentar zu „Epistemologische Demut

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