Als Fan der gepflegten Fußballtaktik hegte ich große Hoffnungen vor der Partie gegen das Werbevehikel des größten Brauseherstellers Österreichs. In den vergangenen Jahren war es mir stets eine Freude, Julian Nagelsmanns Hoffenheim weit über den eigenen Ansprüchen performen, und vor allem, attraktiven Fußball spielen zu sehen. Einen deutlich besseren Kader mit eben diesem Trainer zu sehen, erschien mir sehr spannend.
Trotz einer guten Anfangsphase wurde meine Erwartung, meine hoch gesteckte Hoffnung zusehends enttäuscht. Anstatt Paderborn nach einer frühen Führung weiterhin zu beherrschen, verzettelte man sich zunächst in Aufbaufehlern vor dem eigenen Strafraum, um sich dann immer weiter auf Pressing und Konter zu verlassen.
Während das taktische Feuerwerk verpuffte, feierten die Leipziger Fans immerhin in einem Ausdruck familienfreundlicher Fankultur Sylvester. Um diese Absurdität noch zu überbieten wechselten die Leipziger Spieler vom Hochgeschwindigkeitsfußball zum Zeitspiel.
Eine Sache, die bei allem Hohn nicht zu kurz kommen sollte, war die abermals starke, in der zweiten Halbzeit mehr als gleichwertige Leistung des SC Paderborn. Nachdem man bereits den BVB an den Rand einer demütigenden Niederlage treiben konnte, musste nun ein weiteres Topteam zittern.
Mannschaftsaufstellungen
Paderborn trat mit der gleichen Aufstellung wie schon beim 3:3 gegen Dortmund an. Der Fokus lag also personell klar auf Kontern und Schnellangriffen.
Auf Leipziger Seite gab es eine etwas ungewöhnliche, durch die Verletzungen in der Innenverteidigung getriebene Aufstellung. Vor Mvogo agierte eine Viererkette mit Mukiele, dem eigentlich bereits aussorttierten Ilsanker, Upamecano und dem auf der „falschen“ linken Seite agierenden Klostermann. Die Doppelsechs wurde vom Athletikmonster Konrad Laimer und dem Ex-Paderborner Diego Demme besetzt, die Flügelpositionen von Nkunku und Sabitzer.
In der Spitze gab es eine weitere kleine Überraschung. Patrik Schick, dieser physisch absurde, antrittsschnelle und agile Riese, feierte an der Seite von Timo Werner sein Startelfdebüt sogleich mit einem Treffer.
Einseitige Tempoverschärfung
Leipzig verbrachte zumindest einen Großteil der ersten Hälfte im Ballbesitz. Dieser wurde aus einem 4-2-2-2 recht simpel, unter Anwendung einiger Prinzipien personell flexibel gestaltet. Grundsätzlich suchte man eine Überzahl in der ersten Linie sowie die Besetzung beider Flügel. Links erfolgte diese meist doppelt, da Klostermann konstant vorschob und Werner sich früh in die Breite bewegte, während rechts nur ein einziger Spieler, je nach tiefer Aufbaustruktur Sabitzer oder Mukiele an der Außenlinie blieb.
Die Besetzung der ersten Linie war derweil sehr variabel. Nach einem kurzen Hereintasten aus einer flachen Viererkette verblieb zunächst Mukiele als rechtes Glied einer etwas rechtsseitig verschobenen Dreierkette. Im weiteren Verlauf wurde diese Staffelung immer wieder eingestreut, dominant waren allerdings Strukturen mit Zurückfallender Doppelsechs. Demme war dabei etwas häufiger in der ersten Linie zu finden, zumeist ließ er sich auf die linke, vereinzelt aber auch auf die rechte Seite der beiden Innenverteidiger zurückfallen. Laimer verblieb tendenziell höher, wenngleich er sich gelegentlich zentral zwischen die Verteidiger zurückfallen ließ.
Aus dem Bilden einer Dreierkette ergibt sich bereits ein natürlicher Fluss des Aufbaus an den beiden Paderborner Sturmspitzen vorbei. Ein Andribbeln der Verteidiger wurde gleichwohl nicht wirklich fokussiert. Das Passspiel in der ersten Linie erschien unfokussiert, langsam, sodass andribbelnde Momente nur unzureichend vorbereitet werden konnten. Lediglich Ilsanker dribbelte, in allgemein unpassenden Momenten, gelegentlich an, um linienbrechende Pässe in die Sturmspitze zu suchen. Stattdessen lieft das Aufbauspiel hauptsächlich über die linke Seite.
Dort war es Demme, der immer wieder schlicht auf den neben dem Paderborner Mittelfeld befindlichen Klostermann spielte, der Prögers Stellen durch einen überragenden Antritt aushebeln konnte. Mit einfachsten Mitteln gelang damit das Überwinden des Mittelfelds, welches wiederum eine enorme Tempoverschärfung zur Folge hatte.
In den Momenten, in denen Klostermann zum Dribbling ansetzt, hat Leipzig in der Vertikale bereits sechs Paderborner überwunden. Im Allgemeinen funktionieren derlei numerische Abwägungen natürlich nicht. Die zentralen Spieler haben immer noch einen kürzeren Abstand zum Tor, außerdem kann man den Ball im Dribbling nicht schnell genug nach vorne tragen, als dass diese nicht aufholen könnten.
Doch Leipzig machte die Numerik effektiv ausspielbar. Wann immer das Mittelfeld irgendwie überwunden wurde, setzten alle Leipziger Offensiven unmittelbar zum Sprint an. Letztendlich bestand das Ziel nun darin, den Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld groß zu halten, um ihn dann in Tornähe zu bespielen.
Die konkreten Wege zu diesem Ziel unterschieden sich ein wenig. Am trivialsten war ein sofortiges Anspiel Klostermanns ins Zentrum, häufiger aber wurde der Angriff länger am Flügel entwickelt. Gerade Werners breite, kaum aufzunehemende Position war hierbei instrumental. Nachdem er angespielt wurde, suchte er mit seiner extremen Dynamik den breiten Durchbruch, was die Paderborner Kette zum Rückfall trieb. Neben diesem Mittel waren es vereinzelt auch ausweichende Bewegungen, bei welchen er den Ball Richtung Außenlinie erhielt, um im folgenden mit der Hacke auf den unterlaufenden Wingback abzulegen. (Tatsächlich ist die personelle Zuordnung bei letzterem Angriff nicht ganz klar. Verschiedenste Spieler wichen aus, verschiedenste attackierten die aufgehende Schnittstelle.)

Was derlei Angriffe am Flügel gemeinsam haben, ist eines. Sie erlauben es, die Abwehrkette in eine flache Linie zu ziehen. Eine flache Linie wiederum macht es einfach möglich, sich in den Rückraum zu lösen, den Ball zu erhalten und anschließend zu treffen. Witzigerweise war das Tor von Schick zwar eine gute Illustration dieses Konzepts, der Anschlusstreffer von Gjasula aber ein noch effektiveres Beispiel. Auch hier zog Paderborn die Abwehr über einen breiten Durchbruch flach, um dann mit einem umgekehrt linienbrechenden Rückpass den Rückraum zu bespielen.

Wegschleichen im Vollsprint
Der Leipziger Ballbesitz hatte darüber hinaus nicht wirklich viel zu bieten. Flexibles aber fehleranfälliges Aufbauspiel, Angriffe über links, enorme Tempoverschärfung, Flügeldurchbrüche und Rückraum. Die wahre Leipziger Qualität zeigte sich vielmehr im individualtaktischen Verhalten vor allem im Umschaltmoment. In tieferen Phasen verteidigte man aus einem 4-4-1-1, wobei Schick sich immer wieder unterstützend in die Mittelfeldkette bewegte. Wenn der Ball nun zentral gewonnen wurde, setzte er sich sofort in offene Räume nach vorne ab, in denen er wiederum sofort gesucht wurde.

In vorderster Front verblieb Werner derweil nicht in einer einfach aufzunehmenden zentralen Position, sondern setzte sich weit zum Flügel ab. Dort hatte er nicht nur mehr Platz, sondern auch einen einfacheren Anspielweg aus dem Zentrum. Ein diagonales Anspiel ermöglicht es, Ball und Tor im Blick zu halten, ohne eine seltsame Laufkoordination einnehmen zu müssen.

In der Ruhe liegt die Kraft
Paderborns Spielaufbau war wahrhaft nicht außergewöhnlich. Gegen ein Leipziger 4-2-3-1 Mittelfeldpressing, aus welchem nur bei Anspielen auf die Außenverteidiger Zugriff gesucht wurde, erhielten die Innenverteidiger viel Zeit. Eine flache Angriffseinleitung gelang dennoch nicht, andribbelnde Momente wurden eher als Vorbereiung für gegenläufige Bewegungen der Doppelspitze und nachfolgende diagonale Anspiele auf den ballfern herauskreuzenden Stürmer genutzt.
Nun hat man mit Streli Mamba den wohl perfektesten Spielertypen für derlei Angriffe, der selbst gegen den sehr athletischen Upamecano noch deutliche Tempovorteile hat, dennoch sind die Anspiele meist recht vorhersehbar. Als mehrere hohe Pässe nicht gelangen, spielte man etwas ruhiger, verstärkt über die Außenverteidiger und gerade die linke Seite. Gewissermaßen spiegelte man den Leipziger Ansatz, ließ aber das entscheidende Element, die Möglichkeit zur Rhythmusverschärfung weg. Man spielte kurze Kombinationen mit schwankenden Erfolg, hatte aber nur wenige klare Angriffe.
Stattdessen führten die sehr offensiven Bewegungen beider Sechser zur Entblößung beim Ballverlust. Vasiliadis agierte über weite Phasen sogar auf Höhe der Spitzen, wo er vereinzelt zwar längere Dribblings einbringen konnte, insgesamt aber nur zu selten den Ball erhielt.
Eine Umstellung der Leipziger Pressingformation inder zweiten Hälfte half Paderborn sehr weiter. Während die Außenverteidiger sich in der ersten Hälfte, als Schick noch klar als Zehner agierte, nur schwerlich nach innen lösen konnten, war dieser Weg nach der Umstellung auf ein 4-4-2 immer wieder offen. Paderborn konnte sich zunächst Ruhe verschaffen, Flügelangriffe dann besser einleiten und schlussendlich besser ausspielen.
Der wichtigste Teil der stärkeren zweiten Hälfte war der Einbruch des Leipziger Umschaltspiels. Zum einen kam Paderborn nach Ballverlust schneller in Mannorientierungen, zum anderen fehlte durch Schicks höhere Anspielstation eine kurze Option zur Einleitung der Konter. Zwei zockende Spieler machten Konter schwerer als nur einer.
Fazit
Das Spiel ist ein weiterer Beleg für die Bundesligatauglichkeit des SC Paderborn. Man erreichte nicht nur ein knappes Ergebnis, sondern nahm Leipzig seine Identität. Von einem fußballerischen Feuerwerk blieb nur mickrige Pyrotechnik, von Hochgeschwindigkeitsfußball Zeitspiel.
Ein Kommentar zu „Familienfreundliches Feuerwerk“